Full text: [Oberstufe, 1. Abteilung, [Schülerband]] (Oberstufe, 1. Abteilung, [Schülerband])

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genannt, und regelmäßig erging an ihn in den Unterrichtsstunden 
die Aufforderung des Lehrers: „Prinz Wilhelm, fahren Sie fort!“ 
Das gesamte Leben des Prinzen wurde den Einrichtungen und 
Forderungen der Schule angepaßt. Er beobachtete die strengste 
Pünktlichkeit, ließ sich keine Verspätungen und Versäumnisse zu 
Schulden kommen und bat nicht wie manche andere Schüler um 
Verlängerung der Ferien. Auch die üblichen kleinen Dienstleistungen, 
Herbeiholen von Landkarten und dergleichen, übernahm er wie die 
übrigen. Im Winter konnte man ihn zuweilen vor Beginn der 
Unterrichtsstunden Kohlen in den alten eisernen Ofen hineinschaufeln 
sehen, damit der fröstelnde Professor sich behaglich fühle. Zu 
seinen Mitschülern stand er in einem durchaus kameradschaft— 
lichen Verhältnisse; doch wußte er eine unziemliche Vertraulichkeit, 
die sich bisweilen an ihn zu drängen suchte, mit gutem Takte fern 
zu halten. Die Lehrer lobten seine treue Pflichterfüllung. Daß 
er mit seiner Klasse, in die er als Unterster eingetreten war, regel⸗ 
mäßig fortschritt und aufrückte, war vor allem die Wirkung seines 
sich immer gleich bleibenden Fleißes. 
Nach zweieinhalbjährigem angestrenglem Studium bestand Prinz 
Wilhelm im Januar 1877 die Abgangsprüfung, bei der er den 
vorgeschriebenen Anforderungen in ehrenvollster Weise genügte. Bei 
der Entlassungsfeier erhielt er eine der drei Denkmünzen, die all— 
jährlich an die besten Schüler des Gymnasiums verteilt wurden. 
Bewegt reichte er dem Direktor die Hand und sagte: „Sie können 
sich nicht denken, welche Freude mir durch die Verleihung dieser 
Medaille bereitet wird. Ich weiß nämlich, daß ich sie verdient 
habe. Ich habe redlich gethan, was in meinen Kräften stand.“ 
Sein Abgangszeugnis enthielt das Urteil: „Sein Betragen 
war stets untadelhaft, und durch seinen Fleiß und sein reges wissen— 
schaftliches Streben erwarb er sich die vollste Zufrieden heit seiner 
Lehrer.“ 
188. Aus der Boldatenzeit Kaiser Wilhelms II. 
J. Meyer. 
Wie alle Prinzen aus dem Hause Hohenzollern schon mit dem 
10. Lebensjahre ihre militärische Laufbahn beginnen, aber erst nach 
erreichter Großjährigkeit thatsächlich den praktischen Dienst erlernen, 
so war es auch mit unserm Kaiser. An dem Tage, wo er in das 
10. Lebensjahr eintrat, wurde Prinz Wilhelm mit dem Range 
Berlinisches Lesebuch. Oberstufe J. 
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