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von einem andern, so ging er hin ins Glockenhaus, faßte an
den Glockenstrick und läutete. Sogleich kamen die Richter aus
der Stadt zusammen und richteten. Zufällig tappte auch der
Schimmel in dieses Glockenhaus hinein; und da er alles mit
seinen Lippen berührte und aus Hunger mit den Zähnen alles
benagte, fand er auch den Strick, faßte ihn mit den Zähnen
und fing an zu läuten. Sogleich kamen die Richter und sahen
den Schimmel als Kläger. Da sie wohl wußten, wie große
Dienste der Schimmel seinem Herrn geleistet hatte, ging ihnen
die Sache zu Herzen. Sie ließen den Kaufmann sogleich herbei—
rufen, der sich nicht wenig wunderte, als er an der Klageglocke
seinen Schimmel sah. Er wollte sich über seine Hartherzigkeit
rechtfertigen; allein die Richter fällten folgendes Urteil:
Die Rügeglocke hat getönt,
der Kläger stehet hier;
durch nichts wird Eure Tat beschönt.
Und so gebieten wir,
daß Ihr sogleich das treue Pferd
in Euern Hausstall führt
und bis ans Ende pflegt und nährt,
wie's Euch als Christ gebührt.
So mußte der Kaufmann den Schimmel wieder zu sich
nehmen; es ward auch ein Mann gesetzt, der bisweilen nachsah,
ob der Schimmel keine Not litt. An dem Glockenhause bildete
man aber in Stein zum Andenken die ganze Geschichte ab.
1. Der Gerechte erbarmet sich seines Viehs;
aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig.
Spr. Sal. 12. 10.
2. Wer gleichgiltig gegen ein treues Tier ist,
wird auch für seinesgleichen kein Herz haben.
Friedrich II.
Berlinisches Lesebuch. Mittelstufe J.
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