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Essen als nach einem zweistündigen Marsche. Zudem hatte ich die Absicht,
den Abend zu den Turnübungen zu gehen und mußte mich doch auch
borher noch waschen und umkleiden. Aufangs wollte ich mich weigern,
denn es ärgerte mich, daß mein Vater so etwas nach langem Tagwerk
von mir forderte. Hätte ich es ihm aber abgeschlagen, so wäre er selbst
gegangen, denn er war ein sanster, geduldiger, alter Mann. Allein
ir war es, als ob mich irgend etwas in mir zurückhielte, meine Unlust
lundzugeben. Nach kurzem Besinnen — denn alle jene Gedanken waren
mir blitzschnell durch den Kopf gegangen — sagte ich: „Gewiß, Vater,
gib her; ich wills besorgen.“
Ich reichte dem Knechte meine Sense, und der Vater gab mir
das Paket mil den Worten: „Ich danke dir, Wilhelm; ich würde selbst
gehen, aber ich fühle mich heute nicht ganz wohl.“ Beim Weggehen
reichte er mir die Hand und sagte: „Ich danke dir, mein Junge, du
bist mir immer ein guter Sohn gewesen!“ — Damit trennten wir
uns. Es waren die letzten Worte, die ich aus meines Vaters Munde
bermnommen, denn als ich meinen Auftrag ausgeführt hatte und unserm
Dorfe zueilte, kam mir unser Knecht entgegen und meldete mit ver—
flörten Blicken: „Ihr Vater ist tot. Ein Schlaganfall hat ihn getroffen,
ls er von Ihnen weggegangen war und gerade das Haus erreicht hatte.“
Ich habe seitdem viel erlebt und erfahren, aber täglich kommt mir
jenes Ereignis vor die Seele, und ich danke meinem Gott, daß ich
neines Valers lehte Bitte nicht abgeschlagen habe und daß seine letzten
Worte waren: „Du bist mir immer ein guter Sohn gewesen.“
55.
Brief Schillers an seinen Vater.
Jena, den 27. Okltober 1791.
Eben, liebster Vater, komme ich von Rudolstadt zurück, wo ich
einen Teil der Ferien zubrachte, und finde Ihren Brief. Herzlichen
Dank für die fröhlichen Nachrichten, die Sie mir darin von der zu—
nehmenden Gesundheit unserer lieben Mutter und von Ihrem allseitigen
Wohlbefinden geben. Die Überzeugung, daß es Ihnen wohlgeht und
daß von den lieben Meinigen keines leidet, erhöht mir die Glückseligkeit,
die ich an der Seite meiner teuren Gattin genieße. Es ist heute
Ihr Geburtstag, liebster Vater, den wir beide mit innigster Freude
selern, daß uns der Himmel Sie gesund und glücklich bis hierher er—
halten hat. Möge er ferner über Ihr teures Leben und Ihre Gesund⸗
heit wachen und Ihre Tage bis in das späteste Alter verlängern, damit
Ihr dankbarer Sohn es ausführen könne, Freude und Zufriedenheit über
den Wend Ihres Lebens zu verbreiten und die Schuld der kindlichen
Pflicht an Sie abzutragen.
Fr. Schiller.