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87. Aus Goethes „Reineke fuchs.“
Reinekes Ankläger.
Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen, es grünten und blühten
Feld und Wald; auf Hügel und Hõöh'n, in Büschen und Hecken
übten ein fröhliches Lied die neu ermunterten Vögel;
jede Wiese sprobte von Blumen in duftenden Gründen;
festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.
Noboel, der König, versammelt den Hof, und seine Vasallen
eilen gerufen herbei mit grobem Gepränge. Da kommen
viele stolze Gesellen von allen Seiten und Enden:
Lũtke, der Kranich, und Markart, der Häher, und alle die Besten.
Denn der König gedenkt, mit allen seinen Baronen
hofzuhalten in Feier und Pracht; er läht sie berufen
alle miteinander, so gut die Groben als Rleinen.
Niemand sollte fohlen, und dennoch fehlte der eine,
Reineke Puchs, der Schelm, der viel begangenen Prevoels
halber des Hofs sich enthielt. So scheuet das böse Gewissen
Licht und Tag; es scheute der Puchs die versammelten Herren.
Alls hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt,
und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont er.
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Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage. Von allen
seinen Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet,
trat er vor den König und sprach die gewichtigen Worte:
„Gnädigster König und Herr, vernehmet meine Beschwerden!
Edel seid Ihr und grob und ehrenvoll, jedem erzeigt Ihr
Recht und Gnade. So laßt Euch denn auch des Schadens erbarmen,
den ich von Reineke Fuchs mit grober Schande gelitten.
Aber vor allen Dingen erbarmt Euch, daß er mein Weib so
freventlich öfters verböhnt und meine Kinder verletzt hat.
Ach, or hat sie mit Unrat besudelt, mit ätzendem Unflat,
datß mir zu Hause noch drei in bittrer Blindheit sich quãlen.
Zwar ist allo der Frevel schon lange zur Sprache gekommen,
ja, ein Tag war gesetzt, zu schlichten solche Beschwerden;
er erbot sich zum LEide, doch bald besann er sich anders
und entwischte behend nach seiner FPeste. Das wissen
alls Männer zu wohl, die hier und neben mir stehen.
Herr, ich könnte die Drangsal, die mir der Bube bereitet,
nicht mit eilenden Worten in vielen Wochen erzählen.
Wuũrde die Leinwand von Gent, so viel auch ihrer gemacht wird,