Deutsches Fürstentum und Kaisertum. Die Begründung des neuen Reiches. 43
sicher Selbständigkeit, das uns, den einzelnen wie die Gemeinde und
den Stamm, immer wieder antrieb, für uns zu sein und uns mehr
auf die eigne Kraft zu verlassen als auf die Hilfe der Gesamtheit
zu bauen, versäumten wir es, uns die Einheit zu sichern, und ver-
schritten wir vielmehr alsbald dazu, mit allen Mitteln die Zentral¬
gewalt zu schwächen, von Haus aus fehlten bei uns zur straffen
Beherrschung weiter Sandstrecken alle Voraussetzungen: entwickelte
Verkehrsmittel, Nachrichtendienst, Geldverkehr. Buch die alten Grafen
waren doch nie bloße Beamte, die den Willen des Kaisers einfach
ausführten, sondern Statthalter, und mit jedem Jahrhundert wuchs
für sie der Bnreiz, sich immer selbständiger zu stellen und das Beichs-
gut und das Neichsland in die eigene Hand zu nehmen. Dann war
schon nach dem Bussterben der Karolinger vor lOOO Jahren an
Stelle der Erblichkeit die Wahl getreten, und auch der Anspruch
der Verwandtschaft behauptete sich nur bis in die Zeit Heinrichs IV.
und entfiel ganz im Gefolge des zweiten Bingens des Papsttums
mit den Hohenstaufen: fortan war jede neue Wahl mit einer Schädigung
der Zentralgewalt verbunden. Die Beichsidee verblaßte, die Fürsten
blieben. Sie erschienen allmählich wie verbündete der Krone und
steigerten ihre richterlichen und militärischen Befugnisse zur landes¬
herrlichen Gewalt über weite Gebiete, immer bereit, durch jedes Mittel
ihre Bechte und Sande zu mehren, und auch darauf bedacht, in gün¬
stigen Bugenblicken das Errungne durch kaiserliche Gnadenerweise
sich zu sichern.
2. Einen großen Erfolg von allgemeiner und dauernder Be¬
deutung brachte ihnen der unselige Zwist zwischen Vater und Sohn,
König Heinrich und Kaiser Friedrich II., das im Jahre 1231 in
Worms vom Sohne erlassene und im Mai 1232 vom Vater auf
italischem Boden bestätigte statutuw in lnvorew principum:
mit ihm verzichtete die Krone auf wichtige Bechte, auf das Becht,
in den Territorien neue Münzen und Märkte anzulegen, sowie flüch¬
tige Seute der Fürsten oder von ihnen verurteilte Verbrecher zu
schützen, auf das Geleitsrecht und auf das Befestigungsrecht. Damit
hatte der partikulare Gedanke eigentlich schon die Oberhand über
den Einheitsgedanken gewonnen, und die Sandeshoheit der Herren
war gesetzlich zugestanden.
Das Interregnum half durch den Wegfall, die folgende Zeit
durch die Schwäche der Zentralgewalt. Und wenn auch daneben
die Sandstände in vielen Territorien vorübergehend erstarkten und
die Erhebung der Kurfürsten den Fürstenstand differenzierte und
spaltete, so wuchs doch das Machtbewußtsein aller unaufhaltsam: sie
legten den Titel „Majestät" sich zu,' sie nährten in den Untertanen
die Überzeugung: „ein jeder Herr ist Kaiser in seinem Sande",' und