Full text: [Teil 6, [Schülerband]] (Teil 6, [Schülerband])

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10. Der gekreuzte Dukaten. 
Berthold Auerbaeh. 
„Wenn ich nur hunderttausend Gulden hätte!‘ Das hast du 
vielleicht auch schon oft gedacht oder gesagt. Wenn du aus 
einem Talerland bist, ist es dir nicht darauf angekommen und 
hast hunderttausend Taler daraus gemacht, obgleich das ein Er— 
Kleckliches mehr ist. Ich nehme dir den Hunderttausend-Vunsch 
nicht übel, es ist keine schlimme Sache ums Reichsein, aber das 
Glũück macht es doch nicht aus. Davon kann ich eine besondere 
Geschichte erzählen. 
Ein junger Mann hatte seine Hunderttausend geerbt, und er 
begnügte sich auch damit. Er wollte bloß sein Geld verzehren, 
arbeiten aber wollte er nicht; das, meinte er, sei nur etwas für 
unbemittelte Leute. So hatte also der Herr Adolf gar kein Ge- 
schäft als Essen, Trinken, Schlafen, Spazieérengehen oder Reiten, 
und was ihm sonst noch einfiel. Ja, das Aus- und Anziehen war 
ihm viel zu viel, und er hielt sich einen Kammerdiener. Wenn 
er des Morgens erwachte, wubte er eigentlich nicht, varum er 
aufstehen solltô; es wartete kein Geschäft und keine Freude auf 
ihn. Darum blieb er aueh fein liegen, bis ihm auch das be— 
schwerlich wurde. Fast ging es ihm wie jenem Engländer, der 
aus pureêr Langeweile, um sich nicht mehr aus- und anziehen zu 
müsven, sich das Leben nahm. Das Nichtstun und die Ver— 
treibung der Langeweile ist ja eigentlich sohon ein Selbstmord. 
Herr Adolf machte dann jeden Vormittag seinen Spaziergang, 
damit er den Nachmittag für sich frei und nichts mehr zu tun 
habe. Meist lag er auf dem Kanapee, gähnte und rauchte. Dabei 
hatte er mitunter doch seine besonderen Gedanken. Jeder Mensch, 
dachte er, hat so seine Summe von Kraft mit auf die Woelt 
bekommen, die für seine siebenzig Jährlein oder auch noch mebr 
ausreichen mubß. Wenn ich also einen schweren Stubl von einem 
Ort an den andern hebe, ist damit ein Stück von meiner Lebens- 
kraft aufgewendet oder verbraucht — drum laß ieh's hübsch 
pleiben. Auf solebhe Gedanken kann ein Nichtstuer kommen. 
Der Herr Adolf ward aber dick und oft kränklich und mubte 
seinen Leib pflegen. Das war auch noch ein Geschäft. 
Das Jahr durch ging dem Herrn Adolf manch schönes Stück 
Geld dureh die Hand, und dabei hatte er die besondere Lieb— 
haberei, daß er bei jeder Goldmünze, die er ausgab, ein leines, 
zierliches Kreuz unter die Nase des gepräügten Herrschers machte. 
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