Full text: Lesebuch der Erdkunde

Die Türkei. 
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XIV. Die Türkei oder das Gsmanische Reich. 
§ 442. Geschichtliches. Ursprünglich sind die Türken ein nomadisches 
Kriegervolk tatarischen Stammes, vom Altai und aus Turkestan, wo noch jetzt hinter 
dem kaspischen Meere die Turkmenen Hausen und als rohe „Türken" gefürchtet sind. 
Sie sind treffliche Reiter, haben herrliche Pferde und kriegerische Reiterspiele. Daher 
sind auch die Reichskleinodien der Türkei, die in Konstantinopel feierlich aufbewahrt 
werden: die grüne Fahne des Propheten („Sandschak Scheris", in 42 atlassenen 
Überzügen und kostbarem Behältnis, nur bei großer Reichsgefahr entfaltet); dann 
des Propheten Mantel, Stab und Bogen, die Schwerter der drei ersten Khalifen ic. 
lauter kriegerische Kostbarkeiten. Auch wird der Sultan, nachdem er geschworen, 
den Islam zu verteidigen, anstatt der Krönung, in einer Moschee mit dem Schwerte 
des Propheten umgürtet. 
Von einem Häuptling O sman, der sich um 1281 in Kleinasien eine Herr- 
schaft eroberte, nahmen sie den Namen „O sman li" an. Mit der Schwäche des 
Byzantinischen Kaiserreiches bekannt, setzten sie 1355 nach Europa über, eroberten 
Gallipoli, und wären schon damals Herren von Konstantinopel geworden, hätte 
nicht ein neuer Mongolensturm unter Tünur sie (um 1400) zurückgerufen. Aber 
bald darauf bedrängten sie das erstorbene oströmische Reich, das doch sich durch 
das ganze Mittelalter als eine Stätte der Kultur mitten zwischen Barbarenvölkern 
erhalten hatte, aufs neue. Umsonst hofften der griechische Kaiser, die Bischöfe und 
alles Volk auf Rettung vom katholischen Abendlande. Konstantinopel wurde 1453 
erobert und der Türke war der Schrecken Europas auf volle zwei Jahrhunderte. 
Dann aber sank seine Macht; das Reich zerfiel mehr und mehr. Sultan M a h- 
mud II. ('s- 1839) begann endlich europäische Kultur einzulassen, noch mehr sein 
Sohn, der menschenfreundliche Abdul Medschid (f 1861). Seit 1876 regiert 
Abdul Hamid II. Reformen werden überall versucht, aber kaum je gründlich verfolgt. 
Die Sprache gehört zu den Tatarischen, die zwar volltönend, aber arm sind nnd 
agglutinierende heißen, weil sie die Formwörter und Beugungen nur durch lose An- 
füguugeu au die Wurzeln bezeichnen. Sie können jedoch viele Ableitungen bilden. Die 
türkische Svrache ist die weichste und klangreichste derselben, und hat sich durch eine Menge 
arabischer und persischer Wörter bereichert; jene ist die Sprache der Religion, diese die der 
Dichter. Jeder gebildete Türke muß diese beiden Sprachen verstehen, und nun auch 
französisch. Geschrieben wird die türkische Sprache, wie das Arabische „von der Hand 
zum Herzen", d. h. von der Rechten zur Linken, mit phantastisch schnörkelhaften persischen 
Schriftzügen. Auf schöne Handschrift wird viel gehalten, wiewohl man nur auf den 
Knieen schreibt. 
8 443. Die Türken, die sich aber lieber Osmanli nennen, werden von dem 
Europäer leicht unterschätzt, als Barbaren, die unsere Vorfahren Jahrhunderte lang 
durch fürchterliche Einbrüche bedrohten und jetzt noch die Christen unterdrücken. 
Wenn wir aber nach Konstantinopel kommen, fo ist der erste Eindruck ein viel 
günstigerer. Ihre Haltung, die vielsagenden Züge dieser edeln und männlichen Ant- 
litze (alle mit dem vollen dunkeln Schmucke des Mannes reichlich bedacht), und der 
tief eindringende Blick aus dem dunkeln schönen Auge zeugen von bewußter Würde. 
Schon die morgenländische Tracht, obwohl nun verschwindend, die reiche Faltenfülle 
der langen Tälare und Gewänder, aus der das Haupt frei und unverkümmert sich 
erhebt, gekrönt mit dem fchöngefalteten, nie abgenommenen Kopfbunde des Turban,
	        
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