Full text: [Abteilung 2, [Schülerband]] (Abteilung 2, [Schülerband])

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7. Der Wolf. 
Mit einem Sprunge wirft er sich an die Kehle des 
weidenden Pferdes und reißt es zu Boͤden Die Todeswunde 
klafft weit und scharf wie von der Schneide eines Rasier— 
messers, und so groß ist die Muskelkraft seines steifen Halses, 
daß er selbst das gewürgte Elentier weite Strecken davon— 
schleppt Wenn er sein Eisengebiß zusammenschlägt, glaubt 
man fast den Schuß eines Terzerols zu hören. Im Ange— 
sicht des Schäfers reißt er mitten aus der Herde ein Schaf. 
Er setzt heulend dem Schlitten der Reisenden nach und springt, 
nach Menschenblut dürstend, am Reiter hinauf. Während 
des Winters dringt er frech in Stall und Wohnung des 
Landmannes; ja selbst in den Straßen Petersburgs hat 
man ihn gejagt. Aber nur der Hunger macht ihn kühn. 
Dem Mutigen gegenüber ist er feige und verläßt sich mehr 
auf seine List als auf seine Stärke. Stundenlang liegt er 
im Grase und lauert auf seine Beute. Ist günstige Gelegen— 
heit des Angriffes, so duckt er den spitzschnauzigen Kopf, 
drückt die Augen glotzend aus der Höhle, sträubt das Haar, 
krümmt den Rücken und stößt, auf sein Opfer stürzend, ein 
gurgelndes Geheul aus. Offenen Kampf meidet er, und 
nur wider Willen läßt er sich in denselben ein. Er scheut 
den Huf des Pferdes und das Horn des Stieres; er flieht 
selbst vor dem Steppenhund, der die Schafherde bewacht. 
Ein Funke, ein rauschendes Blatt kann ihn in Furcht setzen; 
ein ungewohnter Ton, das Spiel einer Geige, das der arme 
Musikant in seiner Seelennot anstimmt, hält den Wolf wie 
im Bann, bis er, von Schrecken übermannt, davonläuft. In
	        
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