Full text: [Schuljahr 5, [Schülerband]] (Schuljahr 5, [Schülerband])

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geborenes Töchterchen, und mitten in meiner Not drang der 
erste Schimmer einer Freude wieder in mein Herz, als ich noch 
Lebens warme in ihm fuünlte. Muhsam löste ich sein Hãändchen, 
zog es empor zu der Mitte der Dieme, rib Schlamm und Heu 
son und bettete seinen kleinen Leib, so gut ich konnte. 
Soch Siden saben wir dann beide allein in Furcht uncl 
Finsternis, bis der Morgen heranbrach, sechs lange, schreck- 
liche Stunden, deren Qualen nicht zu schildern sind. Mit dem 
letzten Wogenschwall der hohen Flut, unter welchem Jensens 
Haus zusammensank, war der Sturm gebrochen, die Wut der 
vereinten Elemente erschöpit. Als der Tag kam, war das Was- 
ser in sein Reich zurückgekehrt, die Warit lag zerwühlt und 
zerspült vor uns. Ein paar Balken steckten schief in dem 
Hugel und die Hallig, von tielem Schlamm bedeckt, von ein- 
gefressenen Buchten und Rinnen zerschnitten, trat grau aus 
dem Meere hervor. Das Kind lag unter meinem nassen Rocke 
iest eingeschlafen, mich gchũttelte der Frost im Fieber; doch 
vergebens wart ich meine Blicke umher: kein Boot, kein leben- 
des Wesen zeigte sich, ich wubte nicht, ob es noeh Menschen 
gab, die diese Nacht uberlebt hatten. Endlich konnte ich es 
nicht länger ertragen, ich glitt an der Dieme nieder und kletterte 
durch Schlamm und Schutt an der Wartt hĩnaut. In einer 
Bucht, die das Meer gehöhlt, spielten die VWellen mit den bun⸗ 
len Fetzen eines Kleides, und als ich näher trat allgütiger 
Gottl da lagen sie, wie ich sgie zuletzt gesehen: sens, die 
Frau, die beiden Kinder, sest umschlungen, blab, kalt und tot, 
und rund umher die Trümmer ihres Glücks, Gebãlk und Steine 
des Hauses, in dessen Frieden sie gewohnt, samt den Leibern 
der äleinen Herde, welche sie ernährt hatte. Es war ein banger, 
trauriger Tag, voller Meh und herzzerreibender Klagen. Hun- 
deite von Menschen waren auf den Halligen umgekommen, 
viele auf den Inseln und in Dithmarschen, noch viel mehr 
hatten nur das nackte Leben behalten. Die Deiche brachen, 
dic Marschen standen voll Wasser; ich aber lag sechs VWochen 
auf meinem Krankenlager, so lange hielt das Fieber mich nieder. 
Und das Kind? fragte ich; was ist aus dem Kinde ge- 
worden? 
Das ist mein herzliebstes Töchterchen bis aui diese Stunde, 
sagte der alte Mann stol⸗ und erireut. leh habe sie grob— 
gezogen, dann hat sie einen wackern Mann genommen; mit
	        
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