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13. Sagen vom Rũbezahl.
a) Ruũbezahl uund der Bauer.
1. Einmal war ein Bauer mit seinem Weibe und sechs kleinen
Kindern durch mancherlei Unglücksfälle so verarmt, daß er oft nicht
wußte, woher er das Brot für die Seinigen nehmen sollte.
Eines Tages sagte er zu seiner Frau: „Du hast hinter dem
Gebirge so reiche Vettern, ich will hin; vielleicht, daß der liebe Gott
einem unter ihnen das Herz lenkt und er mir hundert Taler auf
Zinsen leiht; mit diesem Gelde könnten wir uns aus unsrer großen
Not wieder emporhelfen.“
„Das gebe Gott!“ sagte zagend die Frau; denn sie kannte ihre
Vettern, die nach ihr und den Ihrigen niemals gefragt hatten.
Anm andern Morgen sehr früh machte er sich auf den Weg und
schritt rüstig den ganzen Tag zu, bis er des Abends müde und matt
zu den Vettern kam und ihnen mit Tränen seine Not klagte und um
Hilfe flehte. Aber überall wurde er mit harten, bittern Worten ab—
gewiesen.
Traurig machte er sich auf den Rückweg, und als er wieder ins
Gebirge kam, überfiel ihn Gram und Angst mit großer Gewalt. Er
hatte den Arbeitslohn von zwei Tagen verloren und fühlte sich so ent—
kräftet, daß er auch den dritten Tag nicht würde arbeiten können, und
wenn ihm nun das arme Weib und die ausgehungerten Kinder ent—
gegen wimmerten und er brächte ihnen leere Hände und kein Geld und
kein Brot, — o, wie sollte sein Vaterherz das ertragen!
2. Der arme Mann sann hin und her, wie er wohl Hilfe schaffen
könnte. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeiste bei „Ich will
mich an ihn wenden“, sagte er, „vielleicht, daß meine Bitten Gehör
finden.“ Darauf rief er: „Rübezahl! Rübezahl!“ und alsbald stand
er vor ihm, wie ein rußiger Köhler, mit struppigem Barte und glühen—
den Augen, in der Hand einen mächtigen Schürbaum.
„Hört mich, Herr vom Berge!“ sagte der Bauer; „ich habe Euch
nicht aus Mutwillen gerufen, sondern aus Angst und Not.“ Und nun
erzählte er ihm von seinem Weibe und von seinen Kindern und von den
unbarmherzigen Vettern und schloß mit der Bitte, ihm hundert Taler
zu leihen, die er mit Zinsen in drei Jahren wieder bezahlen wolle;
mit hundert Talern sei ihm geholfen.
„Wie? Treibe ich Wucher?“ sagte Rübezahl zornig; „geh zu deinen
Brüdern, den Menschen, und borge, soviel du bekommen kannst; mich
aber laß in Ruhe, wenn dir dein Leben lieb ist!“
Der Bauer ließ aber nicht nach mit Bitten und schilderte nochmals
den Jammer seiner Frau und Kinder. „Wollt Ihr nicht helfen,“ setzte
er dann hinzu, „so schlagt mich nur mit der Schürstange tot, damit
ich die Qual der Meinen nicht sehen darf.“
Rübezahl gebot nun dem Bauer, daß er ihm folge. Sie gingen
waldein, durch immer dichteres Gesträuch und kamen in ein Felsental.