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6. Vom Undank der Kinder.
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So rettet nichts das zarte Leben,
Dem gräßlichen Tode dahingegeben? —
Da plötzlich stürzet aus jenem Haus
Mit fliegenden Haaren ein Weib heraus
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„Um Gottes willen, o Weib, halt ein!
Willst du dich selbst dem Verderben weih'n?
Unglückliche Mutter! zurück den Schritt!
Du kannst nicht retten, du stirbst nur mit!“
9.
Doch furchtlos fällt sie den Löwen an
Und aus dem Rachen mit scharfem Zahn
Nimmt sie das unversehrte Kind
In ihren rettenden Arm geschwind.
10.
Der Löwe stutzt und unverweilt
Mit dem Kinde die Mutter von dannen eilt.
Da erkannte gerührt so jung wie alt
Des Mutterherzens Allgewalt
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Und des Leuen großmütigen Sinn zugleich;
Doch manche Mutter, von Schrecken bleich,
Sprach still: „Um des eigenen Kindes Leben
Hätt' ich mich auch dahingegeben.“
Heinr. Bernhardi.
6. Vom Andank der Kinder.
Es ist recht und wohl gesagt von alten, weisen Leuten: „Gott, den
Eltern und Lehrern kann man nimmer genugsam vergelten.“ Leider wird
aber gar oft das Sprichwort wahr, daß „ein Vater leichter kann sechs Kinder
ernähren denn sechs Kinder einen Vater“ So sagt man ein Exempel von
einem Vater in Nürnberg. Der hatte sechs Kinder und übergab ihnen alle
seine Güter, Haus, Hof, Äcker und alle Bereitschaft und versah sich dessen
zu seinen Kindern, sie würden ihn ernähren.
Da er nun bei seinem ältesten Sohne eine Zeitlang war, wurde der
Sohn sein überdrüssig und sprach: „Vater, mir ist heute nacht ein Knäblein
geboren und wo jetzt Euer Armstuhl ist, soll seine Wiege stehen; wollet Ihr
nicht zu meinem Bruder ziehen, der eine größere Slube hat ?
Da er eine Zeitlang bei dem anderen Sohne gewesen war, wurde der
auch sein müde und sprach: „Vater, Er hat gerne eine warme Stube und
mir tut der Kopf davon weh; will Er nicht zu meinem Bruder gehen, der
ein Bäcker ist?“
Der Vater ging, und da er nun eine Zeitlang bei seinem dritten Sohne
gewesen war, wurde er auch diesem zur Last, daß er sprach: „Vatern beinn