91. Der Graf von kabsburg.
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6. Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
und beginnt sie mächtig zu schlagen:
„Aufs Waidwerk hinaus ritt ein edler
Held,
den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp mit dem Jäger¬
geschoß ,
und als er auf seinem stattlichen Roß
in eine Au kommt geritten,
ein Glöcklein hört' er erklingen fern,
ein Priester war's mit dem Leib des
Herrn;
voran kam der Meßner geschritten.
7. Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
das Haupt in Demut entblößet,
zu verehren mit gläubigem Christensinn,
was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld,
von des Gießbachs reißenden Fluten
geschwellt;
das hemmte der Wanderer Tritte.
Und beiseit' legt jener das Sakrament,
von den Füßen zieht er die Schuhe
behend,
damit er das Bächlein durchschritte.
8. „Was schaffst du?" redet der Graf»
ihn an,
der ihn verwundert betrachtet. —
„Herr, ich walle zu einem sterbenden
Mann,
der nach der Himmelskost schmachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
da hat ihn der strömende Gießbach
hinweg
im Stmdel der Wellen gerissen.
Dmm, daß dem Lechzenden werde sein
Heil,
so will ich das Wässerlein jetzt in Eil'
durchwaten mit nackenden Füßen."
9. Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich
Pferd
und reicht ihm die prächtigen Zäume,
daß er labe den Kranken, der sein be¬
gehrt,
und die heilige Pflicht nicht versäume.
Deutsches Lesebuch. II.
Und er selber auf seines Knappen Tier,
vergnüget noch heiter des Jagens Begier.
Der andre die Reise vollführet,
und am nächsten Morgen mit danken¬
dem Blick,
da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
bescheiden am Zügel geflihret.
10. „Nicht wolle das Gott", rief mit De¬
mutssinn
der Graf, „ daß zum Streiten und Jagen
das Roß ich beschritte fürderhin,
das nieinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem
Gewinst,
so bleibt es gewidmet dem göttlichen
Dienst!
Denn ich hab' es dem ja gegeben,
von dem ich Ehre und irdisches Gut
zu Lehen trage und Leib und Blut
und Seele und Atem und Leben." —
11. „So mög' auch Gott, der allmächtige
Hort,
der das Flehen der Schivachen erhöret,
zu Ehren Euch bringen hier und dort,
so wie Ihr jetzt ihn gcehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
durch ritterlich Walten im Schweizer¬
land;
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er Begeistert aus,
sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus,
und glänzen die spät'sten Geschlechter."
12. Und mit sinnendem Haupt saß der Kai¬
ser da,
als dächt' er vergangener Zeiten;
jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
und verbirgt der Thränen stürzenden
Quell
in des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an
und erkannte den Grafen, der das gethan,
und verehrte das göttliche Walten.
Schiller.
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