Full text: [Teil 2 = Für obere Klassen] (Teil 2 = Für obere Klassen)

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12. Der siebzigste Geburtstag. 
12. Der siebzigste Geburtstag. 
Äuf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, 
saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk 
und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war: 
Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf, 
Organist, Schulmeister zugleich, und ehrsamer Küster; 
der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit, 
einst Taufwasser gereicht, und Sitte gelehrt und Erkenntnis, 
dann zur Trauung gespielt, und hinweg schon manchen gesungen. 
Oft nun faltend die Hand', und oft mit lauterem Murmeln, 
las er die tröstenden Spruch' und Ermahnungen. Aber allmählich 
starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer. 
Festlich Prangte der Greis in gestreifter, kalmankener Jacke, 
und bei entglittener Brill' und silberfarbenem Haupthaar 
lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet, 
mit Fuchspelze verbräumt, und geschmückt mit goldener Troddel. 
Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, 
froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias, 
welcher als Kind auf dem Schemel geprediget, und, von dem Pfarrer 
ausersehn für die Kirche, mit Not vollendet die Laufbahn 
durch die lateinische Schul' und die teuere Akademie durch: 
der war jetzt einhellig erwähleter Pfarrer in Merlitz, 
und seit kurzem vermählt mit der wirtlichen Tochter des Borfahrs. 
Fernher hatte der Sohn, zur Verherrlichung seines Geburtstags, 
edlen Tabak mit der Fracht und stärkende Weine gesendet, 
auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin, 
hemmeten nicht Hohlweg' und verschneiete Gründe die Durchfahrt, 
sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern, 
und zu empsahn den Segen von ihni und der würdigen Mutter. 
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater 
froh sich gespendet zum Mahl, und mit Mütterchen auf die Gesundheit 
ihres Sohns Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin, 
die sie so gem noch sähen, und Töchterchen nennten und bald auch 
Mütterchen, ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels. 
Viel noch sprachen sie fort, von den Tagen des Grams und der Tröstung, 
und wie sich alles nunmehr auslös' in behagliches Alter: 
„Gutes gewollt, mit Vertraun und Beharrlichkeit, führet zum Ausgang! 
Solches erfuhren wir selbst, du trauteste; solches der Sohn auch! 
Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weinetest: Frau, nur geduldig! 
Bet' und vertrau'! Je größer die Rot, je näher die Rettung! 
Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an!" 
Feuriger rief es der Greis, und las die erbauliche Predigt 
nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater. 
Doch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten 
sanft den behaglichen Sinn, und duftete süße Betäubung. 
Mütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret, 
wo von der Schule Geschäft sie ruheten, und mit Bewirtung 
rechtliche Gäst' aufnahmen, den Prediger und den Verwalter, 
hatte gefegt und geuhlt, und mit feinerem Sande gestreuet, 
reine Gardinen gehängt um Fenster und luftigen Mov, 
mit rotblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch, 
und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt, 
knospende Ros' und Levkoi' und spanischen Pfeffer und Goldlack, 
samt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen. 
Ringsum blinkten gescheuert die zinnernen Teller und Schüsseln 
aus dem Gesims', auch hingen ein Paar stettinische Krüge 
blaugeblümt an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing,
	        
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