Full text: Lesebuch für Mittelklassen deutscher Volksschulen (2, [Schülerband])

V. Die Stadt und ihre Bewohner. 
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Stlickchen Acker und säete Rüben. Der Samen ging auf, und 
es wuchs eine Rübe, die ward groß und stark und ward zu— 
sehens dicker und wollte gar nicht aufhören zu wachsen, so 
daß niemals war solch eine Rübe gesehen worden. Zuletzt war 
sie so groß, daß man sie auf einen Wagen legen mußte, um 
sie vom Platze zu bringen. Der Bauer wußte nicht, was er 
damit anfangen sollte, und ob's sein Glück oder Unglück wäre. 
Endlich dachte er; „Verkaufst du sie, was wirst du Großes 
dafür bekommen, und willst du sie selber essen, so thun die 
kleinen Ruben denselben Dienst. Am besten ist's, du bringst 
sie dem Könige und machst ihm ein Geschenk damit.“ Also 
lud er sie auf den Wagen, spannte seine Ochsen vor, brachte 
sie an den Hof und schenkte sie dem Könige. „Ei,“ sagte der 
Kbnig, „was für ein seltsam Ding ist das? Mir ist viel 
Wunderliches vor die Augen gekommen, aber so ein Ungethüm 
noch nichti Aus was für Samen mag die gewachsen sein? 
Oder dir geräth's allein, und du bist ein Glückskind — 
Ach nein,“ sagte der Bauer, „ein Glückskind bin ich nicht, ich 
bin nur ein armer Kriegsmann, der sich nicht mehr nähren 
konnte; darum hing ich den Kriegsrock an den Nagel und baute 
das Land. Ich habe noch einen Bruder, der ist reich und euch, 
Herr König, wohl bekannt; ich aber habe nichts und bin von 
aͤller Welt vergessen.“ 
Da empfaͤnd der König Mitleid mit ihm und sprach: 
„Deiner Armuth sollst du überhoben sein und so von mir be— 
schenkt werden, daß du wohl deinem reichen Bruder gleich 
kommst.“ Da schenkte er ihm viele Aecker, Wiesen und Heerden, 
und machte ihn steinreich, so daß des andern Bruders Reich— 
thum gar nicht konnte verglichen werden. 
Aso dieser hörte, was sein Bruder mit einer einzigen Rübe 
erworben hatte, beneidete er ihn und sann hin und her, wie 
er sich auch ein solches Glück zuwenden könne, Er wollte es 
aber noch viel gescheitter anfangen, nahm sechs außerordentlich 
schöne Pferde und brachte sie dem Könige. Er meinte nichts 
Anderes, als, der würde ihm ein viel größeres Gegengeschenk 
machen; denn, hatte sein Bruder so viel für eine Rübe 
a was würde ihm für so schöne Pferde nicht Alles 
werden! 
Der Khnig lobte die Pferde über die Maßen und schien 
außerordentlich vergnügt über das Geschenk. Aber sprach 
er, „was für einen Bank soll ich euch für ein so treffliches 
Geschenk erweisen? Ich habe nichts in meiner Gewalt, das
	        
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