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Gut soll euer sein; nur was ich davon an der Spitze des kleinen
Fingers hinter mir herziehen kann, sollt ihr mich mitnehmen lassen/'
Da lachten die Räuber und riefen froh: „Das ist nicht viel,
Frau Königin, nehmt nur mehr!" — „Nicht mehr begehr' ich," sprach
sie, „jedoch müßt ihr mir alles dies beschwören mit einem Heilgen
schweren Eid." Da schworen die beiden Grafen. Hierauf stellten
sich die Feinde in langen Reihen auf und warteten auf den Abzug
der Königin.
Da horch! Knarrend öffnet sich das Tor. Ein langer Zug
von Maultieren kommt aus dem Innern hervor ins Freie. Ein
Tier ist an das andere gekoppelt und jedes mit Schätzen schwer be¬
laden. An der Spitze aber schreitet lächelnd die Königin. Den
Zügel des Leittieres hat sie an die Spitze des kleinen Fingers ge¬
wunden und zieht so mit dem Leittier den ganzen Troß hinter sich
her. Mit langen Gesichtern standen die überlisteten Feinde da.
Wittich und Swincbold aber schauten nicht viel klüger drein als dort
die Tiere, welche die kluge Königin mit, all den Schätzen hinter sich
fortführte. Sie mußten sie aber ziehen lassen, weil sie den schweren
Eid geschworen hatten.
Die Kunde von dieser Begebenheit verbreitete sich rasch im
ganzen Lande. Brunhilde wurde als die klügste Königin weit und
breit gepriesen. Die bösen Grafen aber brauchten für den Spott
nicht zu sorgen.
Bald darauf kam Siegbert siegreich aus dem Kriege heim. Als
er die Mar hörte, hat er weidlich gelacht und ausgerufen: „Wohl
bin ich ein reicher König durch dieses Gold, doch wahrlich noch viel
reicher durch meine kluge Königin."
235. Das Moseltal.
Sei mir gegrüßt, Mosel, so reich an Früchten und Kräften!
Dich ziert ruhmvoller Adel und Krieger geübt im Kampfe;
redliche Sitte und Geist hat reichlich Natur dir verliehen.
Gruß dir, prächtiger Strom, Preis auch dem Land und Bewohnern!
So besang schon vor fast 2000 Jahren ein römischer Dichter das schöne
Mofeital. Und schaust du heute von der hochgelegenen Esplanade