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denn so wird in der Schweiz aueh der Bauer genannt — nach dem
Morgenessen mit sich ins Hinterstübehen und stellte ihn wegen seines
Lebenswandels zur Rede. „Hör Uli“, sprach er, „so kann das nieht
lünger fortgehen. Du lebst mir zu wüst; ieh will und darf meine
Pferde und Kühe keinem Menschen anvertrauen, der oft trunken ist, will
den nieht mit der Laterne und der brennenden Pfeife in den Stall lassen
und mieh der Gefahr aussetzen, dass mir das Haus über dem Kopfe an-
gezündet werde.“ — „Ieh habe noch kein Haus angezündet“, antwortete
Uli, „meine Arbeit hat noch niemand für mich gethan, und was ich ver—
trinke, ist mein, das geht niemand was an.“ — „Jal“ sagte der Bauer,
„aber es ist mein Knecht, der es so wüst treibt, und die Leute geben
mir mit sehuld, dass ich so etwas in meinem Hause dulde; es ist die
Ehre meines Hauses, die auch unter deinem liederlichen Lebenswandel
leidet.“ — „Liederlich habe ich nicht gelebt“, versetzte Uli, aber s0
geht es; keinem NMeister kKann man genug arbeiten; der eine ist noch
schlimmer als der andere, den Lohn verringern und die Kost verschlech-
tern sie. Ihr habt gut reden; Ihr habt den schönsten Hof weit und
breit, Ställe voll Vieh, Speicher voll Korn, Kisten und Rasten voll Sut,
die beste Erau und die schönsten Kinder, woran Ihr Euch freuen könnt.
Wenn ich dies alles zu Hause hätte, so dächte ich nicht ans Nacht-
schwärmen. Aber was habe ien? Ich bin ein armer Schelm, habe
keinen Nenschen, der mieh liebt; der Vater ist tot, die Mutter ist tot;
die Schwestern kümmern sich nieht um mieh. Mein Los ist Nühe
und Not; werde ich krank, so weist jeder mir die Thür, sterbe ieh, so
weint niemand um mich, und ieh werde eingescharrt wie ein Hund.
O dass man unsereins doch totschlüge, wenn man zur Welt kommt!“ —
„Nicht doch, nieht doch“, sagte der NMeister, „du bist gar nicht so
schlimm daran, wenn du es nur glauben willst. Lals dein wüstes Leben,
so kannst du noch ein angesehener Uann werden.“ — „Ja“, sagte Uli,
„Wenn man Glück hat!“ — „Das ist eine dumme Rede“, erwiderte der
Bauer; „wie kann einer von Glück reden, wenn er alles fortwirft und
durcehbringt. Ich habe noch kein Geld gesehen, das nicht aus der Hand
wollte, wenn man es fortgab. Aber das ist eben dein Pebler: du hast,
den Glauben nicht, dass aus dir etwas Rechtes werden könnte, und darum
bleibst du arm und wirst dem Elende nicht entgehen. Vor allem ver-
stehst du das Kapitel aus der Pflichtenlehre nicht, das da vom Dienen
handelt, und das will ich dieh lehren: Alle Uenschen empfangen von
Gott zwel Kapitale, die man zinsbar zu machen hat. Dureh gute An-
wendung derselben müssen wir das zeitliche und das ewigliche Leben
gewinnen. Nun hat mancher nichts, woran er seine Krüfte üben, seine
Zeit nützlich und einträglich gebrauchen kann; er verleiht daher seine
Krũtfte, seine Zeit an jemand, der zu viel Arbeit, aber zu wenig Zeit und
Krufte hat, um einen bestimmten Lohn. Das hbeisst Dienen. Nun ist
es eine gar unglückliche Sache, dass die meisten Dienstboten dieses Dienen
als ein Unglück und die Herrschaft als ihre Feinde oder wenigstens
als ihre Unterdrücker ansehen; dass sie es als einen Vorteil betrachten,