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23. Vierzeilen.
1. Prahl nicht heute: morgen will
dieses oder das ich thun.
Schweige doch bis morgen still,
sage dann: das that ich nun!
2. Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dessen Vater und Mutter gestorben,
sondern der für Herz und Geist
keine Lieb' und kein Wissen erworben.
3. Thu, was jeder loben müßte,
wenn die ganze Welt es wüßte;
thu es, daß es niemand weiß,
und gedoppelt ist sein Preis.
4. Was du Ird'sches willst beginnen, heb' zuvor
deine Seele im Gebet zu Gott empor!
Einen Prüfstein wirst du finden im Gebet,
ob dein Ird'sches vor dem Göttlichen besteht.
5. Das sind die Weisen,
die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.
Die bei dem Irrtum verharren,
das sind die Narren.
Friedrich Rückert.
24. Goldne Sprüche.
. Trachte, daß dein üuß'res werde
glaͤnzend, und dein Inmres rein;
sede Miene und Gebärde,
jedes Wort ein Edelstein!
2. Nicht den leicht'sten Fehler kannst du hegen,
der mit schwerem Schaden dich verschone;
doch auch nicht die kleinste Tugend hegen,
die sich dir nicht zwiefach lohne. Friedrich Rückert.
25. Tobias Witt.
Herr Tobias Witt war aus einer nur mäßigen Stadt gebürtig und
nie well über die nächste Umgebung derselben hinaus gekommen. Dennoch hatte
er mehr von der Welt gesehen als mancher, der sein Erbteil in Paris oder
Neapel verzehrt hat. Er erzählte gern allerhand kleine Geschichtchen, die
er sich hier und da aus eigener Erfahrung gesammelt hatte. Poetisches Ver—
dieust hatten sie wenig, aber desto mehr praktisches, und das Besonderste
an ihnen war, daß ihrer je zwei und zwei zusammen gehörten.
Einmal lobte ihn ein junger Bekannter, Herr Till, seiner Klugheit
wegen. — „Eil“ fing der alte Witt an und schmunzelte, „wär' ich denn
wirklich so klug?“
„Die ganze Welt sagt's, Herr Witt, und weil ich es auch gern
wuürde — —“