Full text: Oberstufe, Oberabteilung, (1. Klasse der Berliner Gemeindeschule) (Teil 5, [Schülerband])

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Stärkeren gilt! Was würde aus allen den gemeinnützigen Einrichtungen 
werden, die jetzt unser Leben fördern und uns Sicherheit oder doch, wenn 
das Unglück einmal nicht zu verhüten ist, Hilfe bieten, und zwar nicht nur 
gegen die Eingriffe der Menschen, wie Diebstahl, Mord ꝛc., sondern auch 
gegen zerstörende Naturgewalten, wie Feuers- Wassers- und Hungersnot, 
verheerende Krankheiten ꝛc. Es würde sich das Wort Schillers erfuͤllen: 
„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen 
sich alle Bande frommer Scheu; 
der Gute räumt den Platz dem Bösen, 
und alle Laster walten frei.“ 
Und wenn wir etwa meinen wollten, dafür sei der Staat, den sich 
überhaupt manche fälschlich nur als einen unbequemen Gebieter und Steuer 
forderer denken, nicht notwendig, das nämliche ließe sich auch durch eine 
einfache Verabredung der Bürger untereinander erreichen: so fragt euch nur, 
wie lange es mit dem guten Willen aller einzelnen Mitglieder einer solchen 
Gesellschaft dauern würde, an der jemand nur teilnühme, wie etwa an 
einem Turnvereine oder Sängerbunde, wie lange es dauern würde, wenn 
nicht das zwingende Band des Staates das Ganze zusammenhielte! Gewiß 
ist es eine lobenswerte Sache um die vielen Vereine, welche die Menschen, 
zumal in unseren Zeiten, gründen, wie z.B. Sparkassen, Witwenkassen, 
Lebens-, Feuer-, Wasser- und Hagelversicherungen u. dgl. Aber alle diese 
Genossenschaften können sich nur bilden, wo schon ein Staat vorhanden 
ist, und sie haben ihren Bestand nur unter dem Schutze der staatlichen 
Ordnung, die der Dichter eine segensreiche Himmelstochter nennt. Die 
Stadt- oder Dorfgemeinde kann ihre Zwecke nur erfüllen, insofern sie als 
ein Glied in jenes größere Ganze eingefügt ist. 
Wenn man von einem Steine ein Stück abschlägt, so wird er zwar 
kleiner, allein er bleibt, was er war: ein Stein. Venn man aber eine 
Pflanze oder einen Tierkörper zerschneidet, bleiben etwa beide auch noch, 
was sie zuvor waren? Hat man vielleicht zwei, drei, sechs Pflanzen oder 
zwei, drei, sechs Tiere, wenn man beide in diese Anzahl von Stücken zer— 
schnitten hat? Und wenn jemand etwa in der Meinung, die Pflanze oder das 
Tier wieder zu ergänzen, dieses Stück wieder zusammensetzen wollte, wäre 
es auch mit dem kräftigsten Kitte: würde ihm das gelingen? Natürlich nicht. 
Der Leib einer Pflanze oder eines Tieres ist eben mehr als die bloße 
Zusammenreihung seiner Teile: es ist ein lebendiges, ein unteilbares 
Ganze. Die einzelnen Teile bilden seine Glieder und dienen ihm als 
Werkzeuge oder Organe für seine Ernährung, sein Wachstum und seine 
übrigen Lebensverrichtungen. Alle diese Glieder stehen im Zusammenhange, 
und jedes ist dem Ganzen notwendig. Ganz ähnlich nun verhält s sich 
mit dem Staate. Auch er ist ein organisches Gebilde, ein gesellschaft⸗ 
licher Organismus. Auch in dem Staatskörper bewegt sich ja eine Fülle 
von Kräften auf und ab, und durchtränkt nährender Saft geistigen und sitt— 
lichen Lebens das in steter Entwickelung begriffene Ganze; auch in ihm 
findet eine reiche Gliederung und ein unzerreißbarer Zusammenhang der 
einzelnen Teile statt, und ein jeder ist gleichsam ein notwendiges Blatt, ja
	        
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