21
eine Frucht und, wolle Gott, eine recht gesunde Frucht auf dem weit aus—
gebreiteten Baume. Oder ist etwa der Landmann weniger notwendig als
der Handwerker, haben die Gelehrten und Künstler nicht ebenso gut ihre
Bestimmung in diesem Wunderbau, wie der Arzt und der Richter, der Kauf—
mann und der Fabrikant, der Pfarrer und Lehrer? Der König steht höher
als der Unterthan, der Bürgermeister hat den Vorrang vor dem einfachen
Bürger; aber einen König giebt es nicht ohne Unterthanen, einen Bürger—
meister nicht ohne Gemeinde. Und für das Ganze ist jeder Teil wichtig, wie
in einer Uhr auch das kleinste Rädchen nicht fehlen darf.
Der Staat also ist es, der die gegenseitigen Beziehungen seiner Bürger
regelt, sie in der Ausübung ihrer Thätigkeit schützt und fördert; der die
Gesetze über Eigentum, Gewerbsbetrieb, Landeskultur, Bildungswesen ꝛc.
giebt und aufrecht erhält; der die Strafen für Übertretungen ansetzt und
die Wächter des Gesetzes bestellt; der durch seine Heeresmacht und Bünd—
nisse mit andern Staaten dafür sorgt, daß die Angriffe äußerer Feinde ab—
gewehrt werden, und durch eine verständige und sorgfältige Verwaltung darauf
bedacht ist, Eintracht, Wohlstand und Bildung im Innern zu fördern; der end—
lich für so viele Vorteile, die er gewährt, dem Bürger auch gewisse Leistungen
und Verpflichtungen auferlegt, wie z. B. Steuerpflicht und Heeresdienst.
Mit Recht wird daher jeder bestraft, der mit Frevlerhand störend in
die wundervolle Ordnung des Staates eingreift. Deimling.
198. Aus „Hermann und Dorothea“.
Die Bürger.
Was wäre das Haus, was wäre die Stadt, wenn nicht immer
jeder gedächte mit Lust zu erhalten und zu erneuen
und zu verbessern auch, wie die Zeit uns lehrt und das Ausland!
Soll doch nicht als ein Pilz der Mensch dem Boden entwachsen,
und verfaulen geschwind an dem Platze, der ihn erzeugt hat,
keine Spur nachlassend von seiner lebendigen Wirkung!
Sieht man am Hause doch gleich so deutlich, wes Sinnes der Herr sei,
wie man, das Städtchen betretend, die Obrigkeiten beurteilt;
denn wo die Türme verfallen und Mauern, wo in Gräben
Unrat sich häufet, und Unrat auf allen Gassen herumliegt,
wo der Stein aus der Fuge sich rückt und nicht wieder gesetzt wird,
wo der Balken verfault, und das Haus vergeblich die neue
Unterstützung erwartet: der Ort ist übel regieret.
Denn wo nicht immer von oben die Ordnung und Reinlichkeit wirket,
da gewöhnet sich leicht der Bürger zu schmutzigem Saumsal,
wie der Bettler sich auch an lumpige Kleider gewöhnet.
Darum hab' ich gewünscht, es solle sich Hermann auf Reisen
bald begeben und sehn zum wenigsten Straßburg und Frankfurt,
und das freundliche Mannheim, das gleich und heiter gebaut ist.
Denn wer die Städte gesehn, die großen und reinlichen, ruht nicht,
künftig die Vaterstadt selbst, so klein sie auch sei, zu verzieren.
Lobt nicht der Fremde bei uns die ausgebesserten Thore