Full text: Oberstufe, Oberabteilung, (1. Klasse der Berliner Gemeindeschule) (Teil 5, [Schülerband])

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und den geweißten Turm und die wohlerneuerte Kirche? 
Rühmt nicht jeder das Pflaster? die wasserreichen, verdeckten, 
wohlverteilten Kanäle, die Nutzen und Sicherheit bringen, 
daß dem Feuer sogleich beim ersten Ausbruch gewehrt sei? 
Ist das nicht alles gescheh'n seit jenem schrecklichen Brande? 
Bauherr war ich sechsmal im Rat, und habe mir Beifall, 
habe mir herzlichen Dank von guten Bürgern verdienet, 
was ich angab, emsig betrieben, und so auch die Anstalt 
redlicher Männer vollführt, die sie unvollendet verließen. 
So kam endlich die Lust in jedes Mitglied des Rates. 
Alle bestreben sich jetzt, und schon ist der neue Chausseebau 
fest beschlossen, der uns mit der großen Straße verbindet. 
Aber ich fürchte nur sehr, so wird die Jugend nicht handeln! 
Denn die einen, sie denken auf Lust und vergänglichen Putz nur; 
andere hocken zu Haus' und brüten hinter dem Ofen. 
Wolfgang von Goethe. 
199. Familie und Volk. 
Aller Staatenbildung geht eine lange und mühsame Entwickelung 
voraus; wie denn überhaupt alles Grosse und Herrliche nur durch Kampf 
von den Menschen errungen wird. Erst nachdem der Mensch sich die 
Tiere unterthan gemacht hatte, konnte er, als Nomade, die erste Stufe 
zu einem höheren Dasein erreichen; erst nachdem er durch die Erfindung 
des Ackerbaues den Erdboden in seine Dienstbharkeit genommen, waren 
die höchsten Ziele des geselligon Zusammenlebens erreichbar. Ja, 
dis Sprache selbst und die Beligion sind nur der Preis der Arbeit ge- 
worden. 
Freilich, es ist schwer genauer zu sagen, wie jene Entwickelung 
zum Staatsleben vor sieh gegangen ist. Doeh haben wir ein Beispiel davon 
in der biblischen Geschichte. Bildeten etwa die Israeliten von Anfang 
an, also wie wir sie zur Zeit Abrahams und Jakobs antreffen, einen 
Staat? Gewiss nicht. Erst Moses war es ja, der ihnen Gesetze gab und 
sie zu einem ansüssigen Volke machte. Aber hatten sie deshalb vorher 
gar keine Ordnung? Waren sie ohne allen Zusammenhang und ohne alle 
gesellschaftlichen Bande? Ihr wislst doch, dass sie nach Stämmen geglie- 
dert waren und diese dureh Stammeshäupter (Patriarchen) geleitet wur- 
den. Und solehe Stämme, auf weleher Zusammensetzung beruhten diese 
wieder? Offenbar auf der Blutsverwandtschaft, auf der Pamilie. 
Diese bildet das erste und ursprünglichste Band jeder sittlichen Vereini- 
gung des Menschen. In ihr finden wir uns geborgen, sobald wir die 
Augen zum erstenmal aufschlagen. 
Gott selbst hat den Menschen für die Geselligkeit geschaffen. „Es 
ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Dieses Wort der heiligen 
Schrift ist der Grund aller mensehlichen und geschiehtlichen Entwickelung. 
Deren erste Stufe bildet das Verhältnis von Eltern und Kindern. Ist 
doch selbst der Lierwelt eingepflanzt, dass die Eltern für ihre Jungen
	        
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