192
lieblichen Gesang eines Vögelchens aufmerksam, und er staunte, daß sogar
Worte an sein Ohr drangen. Das Vögelchen aber sang:
„Suchst du Westa? — Folge mir!
Deine Westa ist nicht hier.
In der Erde tiefem Grund
klaget bitterlich ihr Mund.
Sie ist dir treu, die süße Maid,
drum rette sie von schwerem Leid!“
Nun hüpfte das Vöglein von Ast zu Ast vor ihm her, und er folgte
langsam und mit gespannter Aufmerksamkeit, bis er einen freien Platz er—
reichte, in dessen Mitte eine riesige Eiche stand. Dorthin flog das Vögelchen,
ließ sich auf einen Ast nieder und sang;
„Hier unten im Kristallpalast,
da weilet Eiskönig zur Rast,
hält Westa im Kerker gefangen. —
Sie vergeht vor Kummer und Bangen. —
Willst du nun der Retter der Prinzessin sein,
so dring hier von der Weichsel zur Ostsee ein.“
Und husch, flog das Vögelchen davon.
Besko war erstaunt und konnte anfangs gar nicht glauben, daß das,
was das Vögelchen gesungen, Wahrheit sein könnte. Wie aber sollte er
in die Erde eindringen und Westa befreien? — Er fand keinen Rat.
Eilend kehrte er heim und teilte das eben Erlebte seinem Vater mit.
Bald darauf wurden alle Minister und Ratgeber des Königs zu einer
geheimen Sitzung einberufen, wo man eingehend beratschlagte, wie Westa
am besten befreit werden könnte. — Alsbald eilten reitende Boten durchs
ganze Land, die alle Taucher aus dem ganzen Weichselgebiet herbeiholten.
Die Taucher wurden nun zur Mbeit in der tiefsten Tiefe der Weichsel an⸗
gestellt. Zu Tausenden und aber Tausenden waren sie in lautloser Arbeit
beständig bemüht, tief unter der Erde und unter dem Kristallpalast des
Eiskönigs einen Weg von der Weichsel bis zur Ostsee zu graben. Ge—
räuschlos und hurtig ging die Arbeit vonstatten, und doch dauerte es
sehr lange Zeit, bis das Wasser der Weichsel sich tief unten im Grunde
mit dem Wasser der Ostsee mischen konnte.
Indessen verharrte Westa noch immer im trostlosen verzauberten Zu—
stande in ihrem Kerker. Täglich einmal öffnete sich geräuschlos eine
Klappe in der Wand, durch die eine unsichtbare Hand das Essen für sie
hineinschob, weiter aber sah und hörte sie nichts von der Welt, und die
Zeit der trostlosen Einsamkeit und Gefangenschaft war schier endlos. Oft
war sie der Verzweiflung nahe.