Full text: Mit 44 Abbildungen (Teil 1 = (2. und 3. Schuljahr), [Schülerband])

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Kinderschar, dann entnahm sie ihrem Handtäschchen das gefürchtete „Rohr— 
stöckchen“, und das Examen begann. Einer so reizenden und freundlichen 
Lehrerin gegenüber war die Furcht bald gewichen, und das kleine Einmal 
eins ging vorzüglich. Doch nein, ein achtjähriges, pausbäckiges Mädchen, 
die Tochter eines Waldaufsehers, machte einen Fehler, denn bei ihm war 
zweimal drei nicht mehr als fünf. Als die Prinzessin darauf „falsch“ 
sagte, begann die Kleine zu weinen; aber sogleich zog die Kaiserin sie an 
sich, streichelte ihr die Backe und tröstete sie. Unterdessen fuhr die Prin— 
zessin mit der Prüfung fort. „Wie heiße ich?“ war die weitere Frage. 
„Luise! — Oh, das wissen wir sehr genau“, war die unbefangene Ant— 
wort. „Richtig! Und wie heißt meine Mama?“ — „Auguste Viktoria!“ 
klang es aus zehn Mündchen zurück. — „Auch richtig, und der Papa?“ — 
„Wilhelm der Zweite!“ war die feste Entgegnung. — „Und was ist mein 
Papa?“ — „Der ist der Kaiser!“ — „Und wer ist die Mama?“ — 
„Die ist unsre Kaiserin!“ — „Und wer bin ich?“ — „Du? Ja, du bist 
eine Prinzessin, die schöne Kleider trägt, schöne Hüte und Schuhe, und die 
immer viel Geld hat.“ Die Kaiserin und die Prinzessin lachten hell auf. 
„Ganz richtig,“ meinte die hohe Frau; „doch nun genug mit dem Examen, 
sonst werdet ihr müde. Jetzt kommt die Strafe für alle diejenigen, die 
falsch geantwortet haben.“ Und die Prinzessin zog mit lieblichem Lächeln das 
kleine Mädchen hervor, bei dem zweimal drei nicht mehr als fünf waren, 
nahm sein Händchen, bog die Finger tief herunter, und — latsch! — fiel 
das Ende des Rohrstäbchens auf die straffe Handfläche. Aber statt des 
Schmerzes fühlte die ängstliche Kleine etwas Hartes in der Hand: es war 
ein Röllchen — Schokolade. Nicht nur zehn, sondern zwanzig Händchen 
streckten sich der Prinzessin entgegen. „Auch ich — auch ich — habe falsch 
geantwortet!“ schrie es in der Runde, jedes Mädchen erbat sich einen oder 
auch zwei „Klapse“ mit dem Zauberrohrstöckchen. Und die Lehrerin teilte 
tapfer, unter endlosem Jubel der Kinder, so lange ihre Klapse aus, bis 
von dem ganzen Rohrstock auch nicht ein Stück übriggeblieben war. 
Natürlich probierten die Kleinen sofort den Geschmack der Süßigkeiten, 
und als die Prinzessin fragte, ob das gut schmecke, antwortete das vorhin 
genannte Töchterchen des Waldaufsehers: „Ach ja — aber die sind nicht 
aus Rominten, die sind gewiß aus der großen Stadt, in der du wohnst, 
aus — Berlin.“ Als die Kaiserin abends dem Kaiser und seiner Um— 
gebung von dieser lustigen Prüfung erzählte, meinte der Kaiser lächelnd: 
„Es ist doch gut, daß wir unser Prinzeßchen mitgenommen haben, sonst 
wäre sie nicht Dorflehrerin von Rominten geworden.“ 
Nach der Damziger Beifung.
	        
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