Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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sprechen hat er treulich gehalten. Er ließ einen Teil des Waldes nieder— 
schlagen, zog Gräben, damit das Wasser abfließen konnte, und dann 
bhaͤute er das Kloster, das er Marienstern taufte. Aus dem Kloster 
Nimbschen bei Grimma zogen die ersten Nonnen in dasselbe ein. 
Während ich so nachsann über das Vergangene, war ich heran⸗ 
gekommen an die großen Gebäude. Durch das weite Tor, welches im 
Vorderhause ist, schritt ich in den Klosterhof. Der Pförtner gab mir 
die Erlaͤubnis, mich umzusehen, und begleitete mich. Ich sah ein schönes 
Rundteil, das mit Rosen und knospenden Sträuchern bewachsen war. 
Rings um den Hof zogen sich stattliche Gebäude. „Das ist die Kloster— 
kirche,“ sagte mir mein Begleiter, indem er mit dem Finger zeigte, „und 
in dem Hause mit den vielen Fenstern, das mit der Kirche verwachsen 
ist, wohnen die Nonnen. Jede hat darin ihre Zelle.“ Horch, da 
schlägt die Uhr! Es ist die neunte Stunde, und das Glöcklein ruft 
mit hellem Tone zum Gebet. „Wir wollen an der Kirchentür unser 
Gebel verrichten, da werden Sie die frommen Schwestern sehen“ Wir 
schritten rasch hinzu. Und siehe, oben auf dem Chore erschien der Zug 
der heiligen Jungfrauen, voran die Abtissin, dann zu zweien die Nonnen, 
alle im weißen Kleide mit schwarzem Schleier, und auf der Brust hing 
das Kreuz. Es war nicht möglich, ein Gesicht zu erkennen; denn der 
Schleier war dicht, und sie saßen hinter einem Gitter. Als Gesang 
und Gebet verklungen waren, zogen sie feierlich in ihre Zellen zu— 
rück. Mein Auge folgte den weißen Gestalten, bis die letzte entschwun— 
den war. Wir traten hinaus. Ich war ernst gestimmt. 
Als wir wieder zurückschritten nach dem Torwege, erzählte mir 
mein Führer noch folgendes: „Wir haben jetzt zweiundvierzig Nonnen hier; 
sie sind aus Sachsen und Böhmen, und viele stammen aus adeligen 
Familien. Unsere älteste Schwester Agathe ist schon dreiundfünfzig Jahre 
un Kloster; als junges Mädchen von neunzehn Jahren ist sie einge— 
treten. Auch jetzt sind junge Schwestern da, die kaum älter sind als 
zwanzig Jahre und ihr Probejahr ablegen.“ „Und wenn sie sich nun 
hier nicht wohl fühlen?“ warf ich ein. „Dann können sie zu den 
Eltern zurückkehren. Doch das kommt fast nie vor. Denn wer durch 
diese Pforte hier eintritt, der hat Eltern, Geschwistern, Freunden 
Lebewohl gesagt für immer und will hier bloß seinem Herrn und 
Heilande dienen. Die jungen Schwestern sind froh, wenn das 
Probejahr vorüber ist. Dann bekommen sie den Schleier, werden 
Himmelsbräute, legen den Vaternamen ab und heißen nur Schwester 
Martha oder Agathe oder ähnlich. Sie schwören vor Gott, daß sie 
sich nie verheiraten und das Kloster nie verlassen wollen. Sie sind 
wie gestorben für Vater und Mutter, Brüder und Schwestern.“ 
„Und was treiben die frommen Schwestern den ganzen Tag über?“
	        
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