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262. Der dreißigjährige Krieg und Gustav Adolf.
1. Im Jahre 1618 entbrannte der große Religionskrieg zwischen den
Katholiken und den Evangelischen in Deutschland. Weil er fast ohne Unter—
brechung bis zum Jahre 1648 geführt ward, so hat man ihn später den dreißig—
jährigen genannt. Kein anderer Krieg hat soviel Elend über Deutschland
gebracht als dieser. Weit und breit wurden die blühendsten Landschaften fürch—
terlich verheert, und entsetzliche Grausamkeiten wurden verübt; an vielen Orten
verwilderte das Volk auf eine schreckliche Weise. Auch die Franzosen mischten
sich in den Krieg hinein, um für sich daraus Vortheil zu ziehen. Die Folge
davon war, daß der Kaiser endlich im westfälischen Frieden den Evange—
lischen freie Religionsübung zugestehen mußte; zugleich war seine Macht in Nord—
deutschland sehr verringert, aber hier erhob sich von nun an stärker und stärker
q Vorkämpferin des evangelischen Glaubens die junge brandenburg-preußische
acht.
2. In diesem Kriege ist auf protestantischer Seite kein größerer Held auf—
getreten als Gustav Adolf, der Schwedenkönig. Schon waren die Evan—
gelischen den Katholiken völlig erlegen, und ganz Norddeutschland schien der
Knechtschaft preisgegeben zu sein: da landete Gustav Adolf im Sommer des
Jahres 1630 mit 15,000 Mann in Pommern, um seinen bedrängten Glaubens—
genossen beizustehen. Aber wie klein war dieses Heer gegenüber der Kriegsmacht
des deutschen Kaisers! „Wir haben halt a Feindle mehr!“ sagte dieser spöttisch,
und die Wiener nannten Gustav Adolf nur den Schneekönig, der bald schmelzen
werde, wenn er weiter nach Süden hinabkomme. Der kriegskundige Tilly aber
meinte: „Der König von Schweden ist ein Feind von großer Klugheit und
Tapferkeit, ein Feind, der den Krieg zu führen weiß. Sein Heer ist ein Gan—
zes, das er wie sein Roß mit dem Züůgel regiert.“ Und Gustav war unstreitig
der erste Kriegsheld seiner Zeit, ein Feldherr, wie seit Jahrhunderten keiner
aufgestanden. In seinem Heere herrschte die trefflichste Mannszucht. Während
bei den Wallensteinschen Schaaren alle Laster im Schwange gingen, wachte
Gustav mit eben der Sorgfalt über die Sitten der Soldaten, wie über die
kriegerische Tapferkeit. Jedes Regiment mußte zum Morgen- und Abendgebet
einen Kreis um den Feldprediger schließen und unter freiem Himmel seine Andacht
halten. Fluchen, Spielen, Rauben war strenge verboten. In allen Tugenden
ging Gustav selbst den Seinigen als Muster voran. Seine lebendige Gottesfurcht
gab ihm in den schwierigsten Lagen Muth und Besonnenheit, und seine Soldaten
waren von dem festen Vertrauen erfüllt, daß sie unter einem so frommen und
tapferen König siegen müßten.
3. Als Gustav den deutschen Boden betrat, fiel er im Angesicht seines
ganzen Heeres auf die Kniee, dankte Gott mit lauter Stimme für die glückliche
Ueberfahrt und flehte um seinen ferneren Segen. Den umstehenden Offizieren
kamen vor Rührung die Thränen in die Augen. „Weinet nicht, meine
Freunde,“ sprach der König, „sondern betet! Je mehr Betens, desto mehr
Sieges. Fleißig gebetet, ist halb gesiegt.“ Und siehe, bald wichen die Kaiser—
lichen vor den tapferen Schweden zurück. Aber die protestantischen Fürsten waren
so furchtsam vor der Macht des Kaisers, so mißtrauisch gegen den ausländischen
König, daß sie lange zögerten, sich an Gustav anzuschließen. Die ängstlichen
Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen verweigerten ihm geradezu den Duxch—