Full text: Norddeutsches Lesebuch

235 
Nähe der Stubbenkammer, rings von herrlichen Buchen- und Eichenwaldungen eingeschlossen, 
liegt der heilige See der Wenden. Von da erhebt sich die Stubbenkammer mit ihrem 
Kreidefelsen zu einer Höhe von 115 M., fällt dann plötzlich, fast senkrecht abgeschnitten, 
zum Meere herab und gewährt den Besuchern eine großartige Aussicht in die schauerliche 
Tiefe und die unermeßliche See. 
Das Innere der Insel ist meist eben und waldlos und durch weite Heiden, in denen 
man bis zu den Knöcheln im Sande watet, von den Halbinseln getrennt. Die ganze 
Ebene ist mit großen Granitblöcken überstreut, aus denen die Rügener ihre Straßen gepflastert 
und Grundlagen für Häuser und Kirchen gewonnen haben. Wegen der Abgeschiedenheit 
ihrer Wohnplätze haben die Bewohner der Halbinseln die Sprache, Tracht und Sitte 
ihrer Vorfahren treu bewahrt. Neben Ackerbau und Viehzucht ist die Fischerei allen Küsten— 
bewohnern eine Haupterwerbsquelle. Der Häringsfang ist für sie von ähnlicher Bedeutung 
wie die Weinlese für den Winzer am Rhein oder an der Mosel. Kommt der Häring im 
Frühjahr in zahllosen Schaaren angeschwommen, so sind die Leute auf Rügen für das 
ganze Jahr lustig und vergnügt. 
270. Aus dem siebenjährigen Kriege. 
Friedrich II., später der Große genannt, bestieg im Jahre 1740 den 
preußischen Thron. Von der österreichischen Kaiserin Maria Theresia ver— 
langte er die Herausgabe einiger schlesischen Fürstenthümer, auf welche Preußen 
alte Ansprüche besaß. Da seine Forderung aber abgewiesen ward, griff er kühn 
zu den Waffen. Denn von den Zeiten seines strengen Vaters her, des Königs 
Friedrich Wilhelm 1, besaß er ein vortrefflich geschultes Heer und einen 
wohlgefüllten Staatsschatz, und seine Seele war von dem Gedanken erfüllt, 
sein Preußen den Hauptmächten Europas zur Seite zu stellen. In zwei ruhm⸗ 
vollen und kurzen Kriegen zwang er Maria Theresia, das ganze schöne Schlesien 
an Preußen abzutreten. Ganz Europa bewunderte den jungen König und 
sein tapferes Heer. 
Aber Maria Theresia konnte den Verlust und die Schande nicht ver⸗ 
schmerzen. Sie suchte daher nach einer Gelegenheit, das Verlorene wieder zu 
gewinnen. Und da Preußens rasches Wachsthum auch bei anderen Staaten 
Neid und Besorgniß erregt hatte, so verband sie sich in der Stille mit Ruß⸗ 
land, Frankreich, Sachsen und Schweden, um Friedrich zu demüthigen und 
wieder zum Range eines Kurfürsten von Brandenburg herabzudrücken. Sobald 
der König aber von der geheimen Verbindung Nachricht erhalten hatte, kam 
ex mit der größten Kühnheit und Entschlossenheit seinen Feinden zuvor. Ehe 
sie mit vereinigten Kräften ihn angriffen, drang er in Sachsen ein, schlug die 
heranrückenden Oesterreicher bei Lowositz und nahm das sächsische Heer 
gefangen. Das war der Anfang des großen Krieges, der von 1756 bis 1763 
dauerte und deshalb der siebenjährige genannt wird. 
Nun aber erhoben sich alle seine Feinde, und auch das vielköpfige Deutsche 
Reich sandte ein Heer, um ihn vernichten zu helfen. Bald stand eine Macht 
von mehr als einer halben Million Kriegern gegen ihn im Felde, und er 
konnte mit der äußersten Anstrengung ihnen kaum 200,000 Mann ent— 
gegenstellen. Aber in einem unvergleichlichen Heldenkampfe behauptete dennoch 
Friedrich sein schönes Schlesien; der Ruhm der preußischen Thatkraft durch—
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.