fullscreen: Für das siebente, achte, neunte und zehnte Schuljahr (Teil 3, [Schülerband])

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Annette war ein zartes Kind und sollte nur wenige Jahre das 
Glück einer vollständigen Gesundheit genießen. Schon früh entwickelte 
sich in ihr ein rastloser Geist, eine feurige Phantasie, ein lebendiges 
Gefühl, das beim Lesen eines Buches, beim Anblick eines Bildes oft 
in hellen Flammen aufloderte und in Selbstgesprächen seinen Aus¬ 
druck fand. Die Mutter verfolgte mit einiger Besorgnis den Ent¬ 
wicklungsgang des seltsam veranlagten Kindes und suchte auf jede 
Weise die rastlos umherschweifenden Gedanken in ruhige, geordnete 
Bahnen zu lenken. Lesen und Schreiben hatte die kleine Annette 
schon früh auf dem Mutterschoße gelernt; später mußte sie auch an 
dem wissenschaftlichen Unterrichte ihrer jüngeren Brüder teilnehmen. 
So lernte sie die lateinische Sprache beherrschen; ihre Briefe an Levin 
Schücking geben uns dafür zahlreiche Belege. Französisch sprach sie, 
ebenso Holländisch; auch verstand sie Italienisch und Englisch. 
Annette war noch recht jung, als sich die Reimlust in ihrem 
Herzen regte; schon aus den Jahren 1804 bis 1808 besitzen wir etwa 
dreißig Gedichte von ihr. Von ihrem Vater erbte sie jene tiefver¬ 
ständige Freude an der heimatlichen Natur, den Hang zum Spuk- 
und Gespensterhaften und ihre Liebe zur Musik. Die Einförmigkeit 
des Landlebens wurde zuweilen durch den Verkehr mit Stolberg, 
Sprickmann und dem Hause des kommandierenden Generals von 
Thielmann unterbrochen. Im Laufe der Jahre erweiterte sich jedoch 
der Bekanntenkreis und damit auch der geistige Gesichtskreis Annettens 
immer mehr. Besonders anregend waren für sie die längeren Be¬ 
suche auf Bökendorf und Abbenburg, bei ihren Oheimen Werner und 
August von Haxthausen, wo sie in nähere Berührung mit den Freun¬ 
den der romantisch-nationalen Bewegung trat. Der empfänglichen 
Tochter Westfalens erschloß sich hier eine neue Welt von Gedanken. 
In ihr stilles Heimathaus zurückgekehrt, horchte sie überall umher 
und suchte Volkslieder, Sagen und Märchen für die Verwandten und 
die ihr liebgewordenen Freunde. August von Haxthausen, die Brüder 
Grimm und Ludwig Uhland verdanken der emsigen Annette wertvolle 
Spenden. 
In den folgenden Jahren, von 1813 bis 1820, entwickelte sie eine 
rege, literarische Tätigkeit, obwohl ihr Geist unter dem schwachen, 
kranken Körper schwer zu leiden hatte. Sie lebte in glänzenden 
äußeren Verhältnissen; Eltern und Geschwister behandelten sie mit 
„Zärtlichkeit und Nachsicht"; aber Schwindsuchtsgedanken und quälende 
Todesahnungen verdüsterten ihr Gemüt. Annettens fromme Gro߬ 
mutter, Maria von Haxthausen, hatte schon oft ihr so liebes Enkel¬ 
kind um geistliche Lieder gebeten. Das gab den ersten Anstoß zum
	        
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