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210. Waldmeisterlein.
„Waldmeisterlein im kühlen Wald,
wie bist du winzig von Gestalt,
trägst Blüten ohne Farb' und Schein
und sollst des Waldes Meister sein?
2. Nein, nein, das glaub' ein andrer dir,
daß du der Meister seiest hier!
Den Tannenbaum, den sieh dir an;
das ist fürwahr ein großer Mann!“
3. Der Knabe spricht's. Voll Freundlichkeit
hört's an der Mann im schlichten Kleid,
nimmt eine Hand voll süßen Duft
und streut sie lächelnd in die Luft.
4. Und Juuz entzückt der Knabe spricht:
„Welch süßer Duft! Doch weiß ich nicht,
von wannen dringt er auf mich ein;
wo mag die schöne Blume sein?
5. Auch nicht ein Blümchen seh' ich hier,
soweit ich schau' ins Waldrevier;
Waldmeisterlein, bist du es gar?
O, welch ein blinder Thor ich war!
6. Jetzt merk' ich deine Meisterschaft
an deines Duftes würz'ger Kraft;
der Meister bist du in dem Wald
an Wohlgeruch, nicht an Gestalt.
7. Verzeih mir's doch, du kleiner Mann,
daß ich dich nicht für voll sah an;
du lehrst mich: Wahre Würdigkeit
ist demutsvoll zu aller Zeit.“
S. Kreibohm.
211. Erdbeere.
Der Mai erschien in voller Herrlichkeit, und alles freute sich
der Wärme und des Tauess Das Sausen der hohen Eichen und
Buchen und das Brausen der sehlanken Tannen und Fichten, ver-
mischt mit der Vöglein fröhlichem Gezwitscher, belebte den Wald,
Epheu spielte vergnügt im Sonnenscheine und ergötzte sioh am
Schatten seiner tiet aus geschnittenen Blätter; selbst das Moos
beschaute gern seine Blättehen im Spiegel des Taues, und Maiblume