Full text: Norddeutsches Lesebuch

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einer Kugel durchbohrt, zu Boden. Ein Jüngling ergreift die Fahne. Furchtbal 
wüthet der Tod; Leichen thürmen sich auf Leichen. Immer mehr schmilzt di 
Heldenschaar zusammen; aber ihre Fahne hält sie allezeit hoch. Siehe, noch einmal 
flattert sie, noch einmal blitzt ihre goldene Inschrift: „Ein' feste Burg ist unser 
Gott“ über das Feld des Todes; da saust ein Schwert durch die Luft, die Fahne 
sinkt: der letzte der Vierhundert ist gefallen 
Soviel aus der Lebensgeschichte dieser köstlichsten Perle unter allen evange⸗ 
lischen Liedern. Zum Schlusse sei noch des alten Reimleins gedacht: 
Ein' feste Burg ist unser Gott, 
half vor Alters, hilft noch aus Noth. 
214. Altes Lied von der Bibel. 
Wo keine Bibel ist im Haus, 
da sieht's gar õd' und traurig aus, 
da kehrt der böse PVeind gorn ein, 
da mag der liebe Gott nieht sein. 
Drum Menchenkind, drum Menschenkind, 
daß nieht der Böse Raum gewinnt, 
gieb deinen letzten Lhaler aus 
und kauf' ein Bibelbueh ins Haus! 
Sehlags mit dem ersten Lächeln auf, 
hab' all' dein Sebn'n und dinnen drauf. 
Fang' drin dié A-b-c- sehul' an 
und buehstabir' und lies sodann, 
und Les diebh immer mehr binein, 
sohlag' auf darin dein Kimmerlein, 
und lies dir immer mehr heraus, 
mach' dix ein vahres Bollwerk draus, 
und pflanze still hoeh oben drauf 
die allerschönsten Sprüchlein auf; 
hell laß sie flattern, muthig wehn, 
als deine Banner laß sie sehn, 
als deinen Schild drüek's an dein Herz 
und halt dieh dran in Preud' und Sehmer⸗. 
O du mein Lliebes Menschenkind, 
hast du noch keins, s0 Lauf's geschwind, 
und ging dein letzter Groschen drauf, 
geh', eile, flieg' und schlag' es auf, 
lies mit Gebet und seblag' es du 
nur mit des Sarges Deckel zu. 
Des Lesens und des Lebens Lauf 
beginn' und hböre mit hm auf. 
215. Wie schön leuchtet der Morgenstern. 
Wir waren wohl oft in großer Angst und Noth, erzählte ein alter Dorf— 
schulmeister in Schlesien, wenn wir im siebenjährigen Kriege auf jenen Anhöhen 
die Oesterreicher, hier in den Schluchten unsete Preußen schlagfertig stehen sahen. 
Weder Pferd noch Kuh, weder Milch noch Brot gab es in unferm Dörfchen 
mehr: fast in jeder Nacht hörten wir die Kanonen donnern; und mit jedem neuen 
Morgen stellte sich auch neues Elend und neuer Jammer für uns ein. 
Einst hatten wir wieder die ganze Nacht hindurch schießen gehört; an Zubett⸗ 
gehen war gar nicht mehr zu denken, weil man in jeder Nacht horchen mußte, ob 
die Flamme nicht schon im Dachgiebel knisterte. Eben hatte ich mein Morgen⸗ 
läuten besorgt, guckte zum Schallloche hinaus, um zu schauen, was uns an dem 
schrecklichen Tage wohl wieder bevorstehen könne, und zog, um Himmel blickend 
und Gott dankend, mein Mützchen vom Kopfe, da mir alles ganz ruhig schien. 
Ehe ich es jedoch wieder aufgesetzt hatte, jagte ein alter schwarzer Husar zum 
Kirchhofe herein, warf sich vom Pferde und band seinen Braunen an meinen 
Fensterladen. Wie mir zu Muthe ward, kann man sich leicht vorstellen Ich 
flog mehr, als ich ging, die Thurmtreppe hinunter. Er aber ließ mir nicht ein—
	        
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