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291. Die Provinz Hessen-Nassau.
(285 Quadrat⸗Meilen.)
S
1. Die Provinz Hessen⸗Nassau gehört zu den gebirgigen Theilen Preu⸗
zens. Oestlich von dem rheinischen Schiefergebirge erheht sich ein wellenförmiges
Hochland aus buntem Sandstein. Man nennt es das Berg- und Hügelland von
Hessen. Große Berghaufen und einzelne Kuppen steigen hier und da aus der
Landschaft empor. Da ist vor allen der große Meißner, der noch häufig mit
Schnee bedeckt ist, wenn die niedrigen Berge und die Fluren ringßum schon
grünen. Kein anderer Berg hat solchen Ruf im Hessenlande. Der Gebirgs—
sforscher kommt, um seinen Bau und seine Gesteine zu bewundern, Bergleute
fahren in die Stollen des großen Steinkohlenwerkes, Pflanzenkundige suchen die
seltenen und nützlichen Blumen auf, und auf, dem Kamm treiben die Hirten ihre
Herden. Denn für sie ist die Hochfläche und der Abhang des Gebirges mit
fetten, würzigen Weiden und Wiesengründen bedeckt. Aehnlich dem Meißnen,
aber an Gestalt und Umfang niedriger, ist der Habichts wald unweit Kassel.
Besonders stattlich erscheint er auf der Ostseite, wo sein Abhang 300 Meter lies
ins Thal hinabfällt. Hier schmücken ihn auch die berühmten Bauten, Garten—
anlagen und Wasserkünste des Lustschlosses Wilhelmshöhe. Weiter südlich
erheben sich die Berge der Rhön und des Vogelsberges.
Das Bergland ist vielfach von Thälern durchschnitten, worin die Flüsse
von den angrenzenden Bergen zusammenfließen. An den Flüssen entlang laufen
die Straßen und Eisenbahnen, und hier liegen auch die wichtigsten Sͤdte des
Landes An der Fulda, dem eigentlichen Hessenflufsse, liegt Fulda, wo Boni—
facius, der Apostel der Deutschen, begraben ist; dann Hersfeld mit seinen
vielen Tuchfabriken und Kassel, die frühere Hauptstadt des Kurfürstenthums
Hessen. An dem Zusammenflusse der Kinzig mit dem Main liegt die Stadt
Hanau. Die Neustadt ward Ende des 16. Jahrhunderts von vertriebenen
Niederländern angelegt, welche ihre Fabrikthätigkeit hierher übertrugen. An der
Lahn, ringsum und zum Theil an den Seiten eines sleilen Bergrückens, liegt
die Stadt Marburg. Oben prangt das alte Landgrafenschloß, in dem die
Wiege Philipps des Großmüthigen stand, unten am Ufer des Flusses erhebt sich
die Elisabetherkirche mit dem Grabmal der heiligen Elisabeth.
„Im Lande Hessen,“ sagt ein Sprichwort, „giebt's hohe Berge und nichts
zu essen, große Krüge und sauren Wein, wer möchte wohl in Hessen sein? Wenn
Schlehen und Holzäpfel nicht gerathen, haben sie nichts zu sieden und zu braten.“
Doch der Reim ist unbesonnen. Wenn es wahr ist, was alte Leute sagen, daß
die Länder besonders gut sind, deren Erzeugnisse mit einem Wanfangen, so ha
Hessen eine ganze Reihe beisammen. Da giebt es Wasser, Weizen, Wein, Woll—
Wachs Wälder, Wild u. s. w. Freilich ist die Luft etwas rauh, und an man—
chen Stellen gedeiht weder Korn noch Obst in der rechten Weise. Aber in den
Flußthälern an der Fulda und Schwalm ist ein fruͤchtbarer Boden, der viel
Getreide hervorbringt und stattliche Rinderherden nährt. Der südlichste Theil,
am Main, hat ganz das Klima und die Erzeugnisse der Rheinebene.
2. Nassau ist das waldreichste Land im ganzen Deutschen Reiche; weit
mehr als der dritte Theil des sämmtlichen Bodens ift hier mit herrlichen Wal
dern bestanden In den Thälern und den Thalebenen wird ein sehr ergiebiger
Ackerbau getrieben auch allenthalben viel Obst gezogen, nur nicht auf den