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um den armen Verwundeten nicht zu stören, nahm den neben dem
Buche liegenden Bleistift und schrieb die Worte hinein:
„Mein Sohn, gedenke Deines treuen Königs!
Wilhelm.“
5 Der Soldat erwachte, und Tränen perlten ihm beim Anblick dieser
Zeilen aus den Augen.
Wenige Tage darauf besuchte der König wiederum das Lazarett
und trat sofort auf den Infanteristen zu, drückte ihm freundlich die
Hand und tröstete ihn. Dieser war jedoch schon dem Tode nahe;
10 wachsbleich, mit halbgebrochenen Augen starrte er ins Leere. Kaum
hatte er indes seinen König erkannt, als er sich mit der letzten Kraft
seines Körpers emporrichtele, den König mit leuchtenden Augen an—⸗
blickte und sagte:
„Majestät, ich werde Ihrer ewig gedenken, auch dort oben. —
15 Amen!“ Dann sank er ermattet zuruͤck, und ein leises Röcheln ver—
kündete, daß er ausgelitten hatte. — Der König trat näher, drückte
ihm die Augen sanft zu, und eine Träne rollte dem greisen Fürsten
in seinen weißen Bart. Lauxmann
1. Kaiser Wilhelm in Ems.
20 Zu seiner Erholung von anstrengender Arbeit brachte Kaiser Wilhelm
alljährlich einige Wochen in Ems zu. In dem warmen Sprudel, der
hier heilkräftig quillt, wollte er sich erfrischen und stärken zu neuer Arbeit.
Die Bewohner des Städtchens und die Badegäste freuten sich jedesmal
über seine Ankunft; denn jedermann hatte ihn lieb wie einen altͤn Freund.
25 Vor allem wurde er gern von den Kindern zu Ems gesehen. Wie
denken sich doch die Kleinen einen Kaiser so ganz anders, ehe sie einen
echten und wirklichen gesehen haben. Dieser trägt keine goldene Krone
und keinen Purpurmantel, ja nicht einmal Zepter und Reichsapfel, wie
sie's in den Bilderbüchern geschaut. Er hat meist nur ein Stöckchen in
zo der Hand, gerade wie der Vater, und er trägt gewöhnlich einen Hut,
einen schwarzen Rock und eine weiße Weste. Doch wenn er auch im
Militärrock und mit der Soldatenmütze spazieren geht, sieht er so
freundlich und zutrauenerweckend aus, daß sich keines vor ihm fürchtet.
Und wenn eins ihm die Hand gibt trotz Mutters Verbot, so schilt er
35 nicht, sondern lächelt und schüttelt das Händchen ganz herzlich.
So faßte sich denn einmal ein Emser Knabe ein Herz, lief plötz—
lich auf den alten Herrn zu, umspannte seine Kniee und rief: „Bist du
wirklich der Kaiser Wilhelm!“ — „Ja, ich denke, kleiner Maun,“ lautete
die Antwort, „und wie heißt denn du, und was willst du werden?“ —
10 „Ich heiße auch Wilhelm, und Soldat will ich werden,“ rief der Kleine