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nach dem Süden; vergeblich suchten seine Truppen durchzubrechen, in verzwei—
felten Kämpfen verloren sie über 15, 000 Mann bloß an Gefangenen und mußten
endlich, um sich nicht zu einer Kapitulation wie der von Sedan gezwungen zu
sehn, sich auf das Gebiet der Schweiz flüchten, wo sie entwaffnet und bis zum
Friedensschlusse in Verwahrsam gehalten wurden. So war auch diese Armee,
auf welche die Franzosen nicht ohne Grund so große Hoffnungen
gesetzt hatten, bernichtet. — Kurz vorher, am 19. Zannar, hatte General
v. Göben in der Schlacht bei St. Ouentin die Reste der von Manteuffel schon
dreimal geschlagenen französischen Nordarmee völlig zertrümmert.
Nun klamen endlich die Franzosen zur Erkenniniß ihrer Ohnmacht. Beinahe
eine halbe Million ihrer Krieger war in deutscher Gefangenschaft, Hunderttausende
waren in den blutigen Schlachten gefallen oder den fürchterlichen Anstrengungen
erlegen, 25 ihrer Festungen waren in deutschen Händen. In zahllosen Schlachten
waren sie unterlegen, ohne ihrerseits auch nur einen einzigen Sieg von Bedeutung
aufweisen zu können; ihr Land war verheert und ausgesogen. Gleichzeitig brach—
ten aber auch in Paris der Hunger und der Schrecken unserer Bomben eine
gewaltige Sinnesänderung hervor. So ward denn endlich am 28. Januar 1871
ein Waffenstillstand abgeschlossen, durch welchen dem thränen— und jammer—
vollen Kriege vorläufig ein Ende gesetzt ward. Den Festungskranz um Paris
besetzten unsere Truppen, die eingeschlossenen Heere mußten ihre Waffen abliefern
und sich als kriegsgefangen betrachten, nur die sogenannten Nationalgarden, da h.
die wehrhaften Bürger von Paris, durften zur Aufrechthaltung der Ruhe und
Ordnung ihre Waffen behalten. So war Paris, die „heilige“ Stadt, wie die
Franzosen sie gern nannten, wehrlos in unsere Hand gegeben; die stärkste Festung
und glänzendste Stadt der Welt hing von der Gnade unseres Kaisers ab. In
den ersten Tagen des März zogen unsere ruhmbedeckten Truppen als stolze Sieger
in den reichsten und schönsten Theil von Paris ein, wobei selbst die Feinde nicht
umhin konnten, die strenge Zucht und die Maßhaltung der deutschen Soldaten zu
bewundern; Kaiser Wilhelm aber ersparte in hochheriger Gesinnung den Ueber⸗
wundenen jede weitere Demüthigung, als sie sich bereit erklärten, auf unsere
gerechten Forderungen einzugehen.
9. Der Friede. Die Hauptschwierigkeit für den Abschluß des Friedens
hatte darin gelegen, daß seit der Gefangennehmung Napoleons und der Flucht
der Kaiserin kein Mensch in Frankreich von allen Seilen als Oberhaupt des Staanes
anerkannt war, es also niemanden gab, der als Vertreter des zerrütteten Landes
einen Frieden in gültiger und bindender Form hätte schließen können. Deshalb
hatte Graf Bismarck nach dem Waffenstillstand vom 28. Januar darauf gedrungen,
daß in allen Theilen Frankreichs auch in den von den deutschen Heeren besetzien,
in freier und unbehinderter Abstimmung Volksvertreter gewählt würden, die
in einer sogenannten Nationalversammlung sich über die Ernennung einer Regierung
einigen sollten. Diese Versammlung kain denn auch bald zu Bordeaux zu
Stande und erwählte mit sehr großer Stimmenmehrheit den greisen Staats
mann und Geschichtsschreiber Ther s zum Oberhaupte des Staates Mit ihm
schloß der Reichskanzler Graf Bismarck im Namen des deutschen Kaisers im Marʒ
1871 einen vorläufigen Friedensvertrag, dessen wesentliche Bedingungen darauf
hinausgingen, daß die Franzosen Deutsch-Lothringen mit ver Festung
Mest und den Elsaß mit Ausnahme Belforts an Deutschland
abtreten und sich verpflichten mußten, als Kriegsentschäbigung