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an, und alle sieben sangen so schön und rein, daß meine Jungen
nur staunten. Des Alten Sang klang wunderbar dazwischen, und
jetzt kamen die Tränen an meine Herren Buben. Als gar die Kinder
der Reihe nach ihnen dankten und der Vater sagte: „Es fehlt nur
noch unsre gute Mutter, dann wär's so schön gewesen wie noch
nie, — aber gelt, Kinder, das hat uns doch unfre selige Mutter
geschickt, damit wir nicht so traurig sein sollten“ — da wurde es
ihnen vollends wunderbar warm ums Herz, daß ich sie drängen
mußte zum Weitergehen; sie wären gar zu gern noch geblieben.
Das Häuschen, wohin wir jetzt gingen, lag nahe am Kirchhof.
Es ging auch diesmal hinauf in schwindelige Höhe. Nachdem wir
gesungen hatten, öffnete uns die Frau. Sie war eine Witwe, deren
Mann wenig Jahre nach der Verheiratung gestorben war; sie war
zurückgeblieben mit ihrem einzigen Sohn, einem Jungen von vierzehn
Jahren. Der lag seit Jahr und Tag schon krank und lahm; sein
rechtes Bein war nur wie eine große Wunde. Trotz der Armut
war alles sauber und das Linnen, worin er gebettet war, schneeweiß
wie der frischgefallene Schnee draußen. Die großen Augen des
Kindes funkelten, und über seine blassen Wangen zog eine dunkle
Röte, als er die vielen Knaben sah, die sein Bett umstanden. Auch
ihm zündeten wir den Christbaum an und rückten ihn nahe an sein
Bett. Für ihn hatte ich die besten Sachen zurückbehalten und zwei
Flaschen guten Rotwein, die uns ein Vater noch mitgegeben, und
das Eingemachte und den Himbeersaft, um seinen brennenden Durst
zu stillen. Nie werde ich den dankbaren Blick des Knaben vergessen
und wie er seine weiße, abgezehrte Hand den Jungen entgegenstreckte.
Die Mutter sagte nichts; aber ihre Augen sagten alles — Wir
sangen ihnen noch ein paar Lieder, und dann ging's nach Hause.
Als ich von meinen Jungen Abschied nahm, trat einer hervor,
der einen schönen violetten Samtkittel anhatte, und sagte: „Das
war das allerschönste Weihnachtsfest in meinem Leben,“ und die
andern nickten dazu und drückten mir die Hand. Als ich vor Jahren
einen von ihnen wieder traf — es war gerade der Samtkittel —
sagte er: „Wenn ich hundert Jahre alt werde, vergess' ich jenen
Abend nicht. Da hab' ich zum erstenmal eine Ahnung bekommen,
wie wahr das Wort ist: Geben ist seliger als nehmen!“
Aus Lenz und Herbst. 1893.
Emil Zrommel.