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sei, ob spielende Kinder noch am Rain oder auf der Gasse
sich umhertreiben. Und weil es alle Tage solche sieht, so ruft
es um die Zeit der Dämmerung ihnen zu:
„Kling — klang!
Geht nach Haus,
zieht die Schühlein aus!
Dankt Gott dem Herrn für Tag und Nacht
und schlafet bis zur Morgenwacht!
Kling — klang!“
5. Zwischen hinein hat aber das Glöcklein noch vielerlei
Andres zu tun. Fortwährend schaut es ins Dorf hinab und
in die Gegend hinaus und paßt wacker auf, ob nichts vorgehe,
was von Bedeutung sei. Bemerkt es dann etwas, so gibt es
den Leuten sogleich ein verständliches Zeichen, daß alle, die
auf das Glöcklein von Jugend auf geachtet haben, seine Sprache
recht gut verstehen. Sieht es ein Taufkind im WVickelkissen
dahertragen, so klingt es freundlich, daß jedermann ihm
anhört, wie es erfreut ist, weil ein Christkind geboren
wurde. Kommt ein Zug schwarzgekleideter Menschen daher,
die einen Sarg in ihrer Mitte tragen und einen Toten zur
letzten Ruhestätte begleiten, so klingt es abermals, aber so
wehmütig, daß man ihm anhört, wie traurig es ist mit den
Traurigen, das liebe Glöcklein.
6. Dann aber hat es noch ein andres Geschäft. Zur
Nachtzeit lauert es beständig vom Turme herab, ob das böse
Feuer kein Unglück anrichte, solange die Menschen im Schlafe
liegen. Und wenn es gewahr wird, wie die Flamme irgendwo
in einem Hause um sich greift oder gar zum Dache heraus—
züngelt, so ruft es kläglich:
„Bim — bam!
Hurtig wach,
Feuer im Dach!
Eilt zusammen
und löscht die Flammen!
Bum!“
Und es ruht nicht eher, bis Leute genug da sind, das
Feuer zu löschen.“
7. So erzählte die Mutter dem Büblein vom Glöckchen
auf dem Turme, und endlich sprach sie: „Nun, mein Kind,
weißt du, was das Glöcklein auf dem Turme tut, nach wem