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Libelle hatte kleine Löcher in den Binsenhalm drunten im Wasser
gebohrt und in jedem Löchlein ein Ei verborgen. Aus solchem Ei
schlüpfte die junge Libelle. Sie hatte noch keine Flügel, sah auch
sonst anders aus als die alte; darum hieß sie eine Larve. Sie konnte
trefflich schwimmen, fing und verspeiste Mückenlarven und andere
Würmchen, die im Wasser zappelten. Davon ward sie größer und
streifte von Zeit zu Zeit ihre Haut ab, just so, wie ein Kind das
Kleidchen auszieht, wenn es ihm zu eng und kurz geworden ist.
Nachdem der Winter vorbei und es Frühling geworden war,
hatte die Libellenlarve ihr Ansehen wieder verändert; sie war eine
Nymphe geworden. Jetzt ähnelte sie in Größe und Gestalt schon viel
mehr ihrer Mutter, hatte aber immer noch keine Flügel. Als Nymphe
lebte sie ganz so im Wasser, wie sie es als Larve getan hatte. Endlich,
an einem warmen Sommertag, kroch sie an dem Binsenhalme empor
aus dem Wasser heraus. Die Nymphenhaut platzte ihr auf Kopf
und Rücken auseinander. Die junge, fertige Wasserjungfer schlüpfte
aus der Nymphenhaut heraus und ließ die leere Hülle am Halme zurück.
Wie prächtig sah die Wasserjungfer jetzt aus, als sie im Sonnen-
schein sich auf dem Schilfstengel wiegte und schaukelte! Ihr schlanker
Leib glänzte wie die schönste hellblaue und grüne Seide; ihre Augen
schillerten wie geschliffenes und poliertes Metall. Auf dem Rücken
trug sie vier große zarte Flügel; die sahen so herrlich aus, als seien
sie aus einem feinen Spitzenflor. Die ganze Wasserjungfer war so
wunderschön wie eine kleine Fee, die aus dem Wasser gestiegen ist.
Aber wie beträgt sie sich? Hab acht, was sie vornimmt!
Am Wasser blühen vielerlei Blumen: Ranunkeln und Schwert—
lilien, Nixenblumen, Vergißmeinnicht und hundert andere. Allerliebste
Schmetterlinge flattern herzu und trinken Honig aus den bunten Blüten.
Glänzende Fliegen summen um die Blumen, schmausen vom Blüten-
staub und lecken süßen Saft dazu. Die Libelle späht mit ihren großen
Augen auch nach den Blumen, aber nicht nach dem Honig darin,
sondern nach den Schmetterlingen und Fliegen darauf. Sie ist ein
grimmiges Raubtier. Jetzt schwirrt sie mit ihren Flügeln pfeilgeschwind
durch die Luft. Die Unterlippe ihres großen Maules ist ganz besonders
zu Fang und Raub eingerichtet; sie läßt sich fast wie ein Arm
zusammenlegen und auseinanderklappen. Blitzschnell greift sie mit
dieser Fanglippe zu und hat auch schon den kleinen blauen Schmetterling
gepackt, der eben von der Teichrose emporflog. Sie hält ihn fest —
eins, zwei, dreil hat sie ihm die prächtigen Flügel abgerupft, dann
den Kopf und die Beine; das andere verzehrt sie im Fluge. Gleich