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6. Das zweite Wort der Held dann sprach
und hieb noch kräftiger schier;
der Bannerträger zusammenbrach,
und über ihn fiel das Panier.
Und Wort um Wort, und Streich um Streich,
das war ein tapfer Gebet;
bei jedem Spruch lag alsogleich
ein Heide dahingemäht.
7. Und es klaffte dem Ritter das Stahlhemd weit,
und es färbten die Ringe sich rot;
er aber ward nicht lab im Streit,
und jeder Schlag war Tod.
Und es barst sein Schild, und es sank sein Pferd,
da kämpft' er fort zu Fub;
mit beiden Händen schwang
und betete weiter den Grub.
8. Und als zu Ende das Ave ging,
er führte noch einen Streich,
und in getürmter Leichen Ring
hinsank er blutend und bleich.
Sein Mund ward stumm, sein Arm ward schwer,
im Tode stand sein Herz;
nicht Amen konnt er sprechen mebr.
Das war sein letzter Schmerz.
9. Doch die Lätauer warfen die Renner herum,
kein Streit mehr lüstete sie.
Gerettet war das Heiligtum
dureh des Ritters Ave Marie.
Gott geb ihm droben selige Statt
aufs tosende Schlachtgetümmel!
Wer so auf Erden gebetet hat,
mag Amen sagen im Himmel.
Emanuel Geibel.
223. Was sich das Volk von König Rudolf erzählte.
Rudolf von Habsburg, im Jahre 1273 zum deutschen Könige
gewahlt, war ein gerechtigkeitsliebender Fürst, und man nannte