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Heimat hin und wieder gesehen. Aber wie erstaunte er, als die
erhabenen Hallen eines unterirdischen Palastes vor seinen Augen
sich auftaten! Alle Augenblicke stand er still, von neuem über—
raseht, hielt die Fackel hoch und staunte und bewunderte; denn
in hohen, majestätisch gewölbten Bogen zog sieh der Höhlengang
hin und flimmerte und blitzte wie von tausend Rristallen und
Diamanten. Aber noch gröbere UÜberraschung stand ihm bevor,
als sich sein Führer links wandte und ihn in eine weite Grotte
führte, die wie der festlich geschmückte Saal des unterirdischen
Palastes anzusehen war.
5. Sein Führer mochte den gewaltigen Eindruck bemerken, den
dieses Wunderwerk der Natur auf die Seele des Jünglings machte.
Er nahm ihm die Fackel aus der Hand, stieg auf einen vorsprin-
genden Felsen und beleuchtete so einen groben Teil dieser Grotte.
6. Glänzend weibe Felsen fabten die Wände ein; weite Wöl-
bungen, über deren Kühnheit das irdische Auge staunte, bildeten
die glänzende Kuppel. Der Tropfstein, aus dem diese Höhle ge-
bildet war, hing voll von vielen Millionen kleiner Tröpfehen, die
in allen Farben des Regenbogens den Schein zurückwarfen und als
silberreine Quellen in kristallnen Schalen sich sammelten. In
seltsamen Gestalten standen Felsen umher, und die aufgeregte
Einbildungskraft, das trunkene Auge glaubte bald eine Kapelle bald
grobe Altäre mit reichem Faltenwurf und gotiseh verzierte Kanzeln
zu sehen. Selbst die Orgel fehlte dem unterirdischen Dome nicht,
und die wechselnden Schatten des Fackellichtes, die an den Wan-
den hin und her zogen, schienen geheimnisvoll erhbabene Bilder
von Märtyrern und Heiligen in ihren Nischen bald auf- bald zu-
zudecken.
7. Der Führer stieg, nachdem er das Auge des Jünglings für hin-
länglieh gesättigt halten mochte. wieder herab von seinem Pelsen.
„Das ist die Nebelhöhle,“ sprach er; „man kennt sie wenig im Land,
und nur den Jägern und Hirten ist sie bekannt. Doch wagen es
nicht viele, hereinzugehen, weil man allerlei böse Geschichten von
diesen Kammern der Gespenster weib. Einem, der die Höhble
nieht genau kennt, möchte ich nicht raten, sieh herabrzuwagen. Sie
hat tiefe Schlünde und unterirdische Wasser, aus denen keiner mehr
ans Licht kommt. Auch gibt es geheime Gänge und Kammern,
die nur fünf Männern bekannt sind, die jetzt leben.“
Nach Wilhelm Hauff.