Full text: [Teil 2 = Mittelstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittelstufe, [Schülerband])

Schneelasten die Tannenäste niederdrücken. Wohl sind schon viele 
Sänger weg; doch regt sich auch noch mancher Vogel im Laub und 
schmettert vom hohen Eichenwipfel herab, daß man jubelnd Antwort 
gibt. Gewiß haben die Wälder in der Nähe von Badeorten, wie 
bei Wiesbaden, Ems, Baden-Baden, ihr Schönes; man braucht durch 
kein Dickicht zu brechen, kein Brombeerstrauch zerrt dich am Kleid, 
und kein Waldbach hemmt mit ungestümem Gepolter über Kiesel und 
anderes Gestein den Schritt; aber den rechten Naturjünger befriedigt 
doch nur der naturwüchsige Wald. Wie wirft da die Sonne mit wahrer 
Verschwendung ihr Gold ins dichte Gewipfel, daß es wie in Glut 
getaucht tausendstimmigen Gruß rauscht und das Moos fast neidisch 
wird, weil nur hier und dort Funken sich zu ihm Bahn brechen. Wie 
ein Blumengarten Gottes kommt von Zeit zu Zeit ein Waldgrnnd, 
wo die rosige, vielglockige Erika und die blaue Kampanula ihre Glöckchen 
schwingen, die Amsel aus dichtem Unterwald voll Buchengrün und 
Tannengeruch glockenhell schlägt. Jeder klargrüne Bach ist so traulich 
von Erlen und Weiden umsäumt, er blitzt bald so lustig aus dem 
Gebüsch heraus, um dann wieder mit dunkeln Augen ganz geheimnis¬ 
voll dreinzuschauen, daß man mit ihm des Wanderns nicht müde 
wird. Wohl rieseln die Birken schon einzelne goldgelbe Blätter in 
ernster Mahnung an die Tage der Wintereinsamkeit nieder; doch was 
will das gegen die unendliche Pracht, die über Tal und Höhen sich 
noch tit dunkler Laubwaldung ausbreitet! Die Ameise hastet hin und 
her und sammelt, was sie vermag ; noch summt die Biene um Blumen¬ 
kelche, noch wiegen sich buntfarbige Schmetterlinge in der blauen 
Luft, die mit dem Nahen des Abends immer dunkelblauer über Nähe 
und Ferne liegt. Wie schön, durch Waldschneisen jetzt hinein in die 
Welt zu schauen, über Gefild und Wiesen und Menschenwohnungen, 
die Herdranch aufsteigen lassen! Wie in eine wahre Verklärungsglut 
sind die westlichen Berge getaucht, immer goldener strahlen ihre Säume; 
als wolle sie verbluten, geht nun die Sonne unter und drüben der 
Mond auf; groß, mild, ein abgeblaßtes Sonnengesicht steht er über 
den Wäldern, die sich jetzt ganz grünschwarz in gewaltigen Massen 
in den Abend hineinheben. Doch genug; die Herden ziehen allent¬ 
halben mit Schellengeläute den heimatlichen Ställen zu, während wir 
so unmerklich in den Wiesengrund getreten sind, und dem Menschen 
ruft die Aveglocke Friedensgruß zu. Der Nachtwind bewegt das Ge¬ 
zweig, und nun, wie der Mond voller scheint, ruht still-lieblich sein 
Schein auf jedem Blatt, trägt jeder Grashalm sein Tröpfchen Silber¬ 
licht, und durch das Herz geht eine süße Stille, ein geheimnisvolles 
Schauern.
	        
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