57 —
94. Untreue schlägt den eigenen Herrn.
Als in dem Kriege zwischen Frankreich und Preußen ein Teil der fran
zösischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheini—
schen Bundesheer dabei, und ein bayrischer oder württembergischer Offizier
wurde zu einem Edelmann einquartiert und bekam eine Stube zur Wohnung,
wo viele sehr schöne und kostbare Gemälde hingen. Der Offizier schien recht
große Freude daran zu haben, und als er etliche Tage bei diesem Manne
gewesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem
Hauswirt, daß er ihm eins von diesen Gemälden zum Andenken schenken
mbchte. Der Hauswirt sagte, daß er das mit Vergnügen thun wollte, und
stellle seinem Gaste frei, dasjenige selber zu wählen, welches ihm die größte
Freude machen könnte.
Wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand auszu—
suchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, daß man nicht gerade das kost—
barste wegnehme. Daran schien der Offizier auch zu denken; denn er wählte
unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber gerade das war unserem
schlesischen Edelmanne das liebste, und er hätte ihm gern das kostbarste dafür
gelassen. „Mein Herr Oberst,“ so sprach er mit sichtbarer Unruhe, ‚warum
wollen Sie gerade das geringste wählen, das mir noch dazu wegen einer
andern Ursache wert ist? Nehmen Sie doch lieber dieses oder jenes dort!“
Der Offizier gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, daß
sein Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu
das gewählte Gemälde herunter. Jetzt erschien an der Mauer, wo dasselbe
gewesen war, ein großer, feuchter Fleck. „Was soll das sein?“ sprach der
Offizier wie erzürnt zu seinen todblassen Wirt, that einen Stoß, und auf
einmal fielen ein paar frisch gemauerte und übertünchte Backsteine zusammen,
hinter welchen alles Geld, Gold und Silber des Edelmanns eingemauert
war. Der gute Mann hielt nun sein Eigentum für verloren, ergab sich
schon geduldig darein und verlangte nur von dem feindlichen Kriegsmann
zu erfahren, woher er habe wissen können, daß hinter diesem Gemälde sein
Geld in der Mauer verborgen war. Der Offizier erwiderte: „Ich werde
den Entdecker sogleich holen lassen, dem ich ohnehin eine Belohnung schuldig
bin.“ In kurzer Zeit brachte sein Bedienter — sollte man's glauben? —
den Maurermeister selber, den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer
zugemauert und die Bezahlung dafür erhalten hatte. — Der Mann hatte
einen schändlichen Streich begangen; denn ein Handwerksmann ist seinen
Kunden die größte Treue und in Geheimnissen, wenn es nichts Unrechtes
ist, Verschwiegenheit schuldig.
Darum ließ der brave Offizier den Treulosen jetzt hinaus vor die Stube
führen und ihm von frischer Hand hundert Prügel bar auszahlen, lauter
gule Munze, und war kein einziger falsch darunfser. Dem Edelmann aber
gab er unbetastet sein Eigentum zurück. Das wollen wir beides gut heißen
Ind wünschen, daß jedem, der Einquartierung haben muß ein so recht—
schassener Gast und jedem Verräter eine solche Belohnung zu teil werden möge.
Hebel.