Full text: [Teil 2 (Oberstufe), [Schülerband]] (Teil 2 (Oberstufe), [Schülerband])

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Wenn eine Zeitlang ein anhaltender Westwind weht, der 
grosse Wassermassen in den Kanal treibt, und diese nun, sich 
ach Nordosten oder Norden umsetzend, gegen die Küsten und 
weit in die FHlüsse hinaufpeitscht, vodureh die Ebbe sehr auf—- 
gehalten oder fast ganz gehemmt wird, wenn sich dazu noch 
eine Springflut gesellt, dann steigen die wilden Wasser oft zu 
einer Höhe und Furchtbarkeit, dieé einem das Herz erbeben 
machen. 
Aber ruhig erwartet sie der Marschbewohner, weils er 
doch, dass seine Deiche hoch und stark genug sind, ihm sichern 
Schutz zu gewähren. Höchstens mag ihm ein trüber Gedanke 
an die Mũhen und Kosten der Deicharbeit kommen, die wenige 
Stunden herbeiführen können. 
So steht er, unbekümmert um den heulenden Sturm, auf 
der Kliöppe des Deichs und schaut in ernstem Sinnen auf die 
wallenden Fluten, von denen er genau weils, vann sie an den 
Deich heranströmen werden. 
Noch ist das Vorland trocken, noch sind die Dluten in 
ihrem Bette, doch man sieht schon, wie sie toben, wie sie sich 
baumen und die weilsen Zühne zeigen, als harrten sie voll Un- 
geduld der Stunde, da eine höhere Macht ihnen das Zeichen 
zum Angriffe giebt. 
Jetzt nahen sie. Lauter und lauter vird das Brausen und 
Donnern. Sie erreichen das Vorland, in kurzer Zeit ist es 
bedeckt und bietet nun, soweit das Auge reicht, nur eine einzige 
wilde Wasserwüste, deren Schaumkämme blendend weils gegen 
das trũübe Grau der Wogen abstechen. Rein Schiff ist weit und 
breit zu erspühen, alle sind sie vor dem Sturme in sichere 
Buchten gefsũchtet, und nur hier und dort kündet ein einsamer 
Weidenbaum, der mit seinem nickenden, wild zerzausten Haupte 
aus den Fluten ragt, dass da unter den wilden Wogen grünes, 
fruchtbares Land Liegt. 
Und noch immer höher schwillt das Gewässer; jetzt ist 
auch die Berme, der Fulss des Deiches, beflutet, endlich der 
Deich selbst, und es beginnt durech den Widerstand desselben 
eine furchtbare Brandung, ein wvahrhaft majestätisches Schau— 
spiel. Mit zerstörender Gewalt schnaubt Woge auf Woge an 
jbm hinauf; kaum wird die erste zurückgewiesen von seiner 
Schrägung, als schon die nächste mit erneuter Mut heranrollt.
	        
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