218
140. An der Strabenecke.
An der Straßenecke, in der Häàuser Gedränge,
in der Großstadt wogender Menschenmenge,
inmitfen von Wagen, Rarren, Rarossen
ist heimlich ein Märchenwald entsprossen,
von leisem Glockenklingen durchhallt,
von Weihnachtsbäumen ein Tannenwald.
Da hält ein Wagen, ein Diener steigt aus
und nimmt den größten Baum mit nach Haus.
Ein Mütterchen kommt und prüft und wägt,
bis endlich den rechten sie heimwärtfs trägt.
Verloren zur Seite ein Stämmchen stand,
das faßte des Werkmanns rußige Hand.
So sah ich einen Baum nach dem andern
in Schloß und Haus und Hütte wandern,
und schimmernd zog mit jedem Baum
ein duft'ger, glänzender Märchentraum.
Erohschaukelud auf der Zweige Spitzen
schneeweißgeflügelte Engelein sitzen.
Die einen spielen auf Zinken und Flöten,
die andern blasen die Handtrompeten,
die wiegen Puppen, die tragen Konfekt,
die haben Bleisoldaten versteckt,
die schieben Puppentheaterkulissen,
die werfen sich mit goldnen Nüssen,
und ganz zuhöchst, in der Hand einen Kringel,
steht triumphierend ein pausbackiger Schlingel.
Da fönt ein Singen, ein Weihnachtsreigen,
verschwunden sind alle zwischen den Zweigen.
Am Tannenbaum hängt, was in Händen sie trugen — —
ein Jubelschrei schallt, und von unten lugen
mit Auglein, hell wie Weihnachtslichter,
glückselig lachende Rindergesichter.
Jakob Loewenberg.