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goldene, seine Schwester dagegen in das silberne Bett. Als sie
auf den weichen Pfühlen ruhten, sagte der Bruder: Schwester,
wie gefällt dir's in unserm goldenen Schloß? Schöner kann's
nirgends auf der Welt sein. Das meinte die Schwester auch,
seufzte aber: Wenn doch Vater und Mutter auch hier waären!
Das ist auch mein einziger Wunsch, sagte der Bruder. Was
mögen sie wohl jetzt machen, die lieben Eltern? — Ach! seufzte
die Schwester wieder, sie werden uns suchen, und wenn sie uns
nicht finden, dann werden sie jammern und weinen. — Ja,
war die Antwort, das werden sie gewiß; denn sie hatten uns so
lieb. Wenn wir nun gar nicht wieder nach Haus kommen, werden
sie denken, der Wolf habe uns gefressen, weißt du, wie er Rot⸗
käppchen fraß. Du weinst doch nicht? Da gab die Schwester
mit leiser Stimme zur Antwort: Ich habe nur ein paar Tränen
auf das Bett fallen lassen, aber keine auf den Boden. Sei mir
nur nicht böse; aber ich konnte das Weinen nicht lassen. Mir
war's vor den Ohren, als hörte ich unsere gute Mutter weinen
und schluchzen. Du bist ja so still, du weinst wohl auch? — Ja!
flüsterte es im goldenen Bett, mir kam es vor, als hörte ich unsern
guten Vater uns rufen, und seine Stimme klang so voll Angst
und so traurig. Aber ich fange alle Tränen mit meiner Hand auf,
damit keine auf den Boden fällt.
8. Eine Weile weinten beide ganz still auf ihren Betten.
Endlich fragte die Schwester mit weinerlicher Stimme: Willst
du denn für immer König bleiben, und sollen wir nie wieder
zu unsern lieben Eltern kommen? Das halte ich nicht aus.
Lieber will ich keine Prinzessin mehr sein. Ich muß vor Sehn⸗
sucht sterben, und dann bist du allein in dem goldenen Schlosse.
— Ach! seufzte der Bruder, ich hatte mir's auch viel leichter
und schöner gedacht, ein König zu sein. Die goldene Krone
hat mir die Stirne ganz wund gerieben, und viel lieber wollt ich
in dem grünen Walde mit dir Holz zusammenlesen als immer
auf dem goldenen Throne sitzen. Das ist so langweilig. —
Weißt du was? klang's aus dem silbernen Bett herüber. Wir