196 Frankreich.
Fast täglich vermag da der Gärtner oder Landmann bald dieses bald jenes Ge-
wächs für die Küche des Bürgers wie für die Tafel des Reichen aus dem Boden
oder von den Zweigen zu nehmen! Diese glücklichen Verhältnisse werden der
Gegend von Nizza teils durch die günstige maritime Lage, teils durch die 1000 m
hohen Alpenberge verschafft, welche mantelartig um diese Küste herumlaufen
und sie vor rauhen Nordwinden schützen, während das offene Meer den Zu-
tritt warmer Südwinde begünstigt. Die amphitheatralifch aufgebaute nächste
Umgebung Nizzas heißt Campa gne und trägt mit ihren zahllosen Gärten, Land-
Häusern, fruchtbaren Feldern, immergrünen Wiesen, Rebenhügeln, Oliven und
Orangenhaineu sehr zu Erhöhung der landschaftlichen Reize der Gegend bei. —
Klimatisch und landschaftlich ähnlich begünstigt sind auch die Nachbarorte Nizzas,
bis nach Spezzia hin, besonders das üppige Monaco.
Die Provence setzt ihren Fuß ans blaue Mittelmeer und entfaltet hier
wie an den Ufern ihrer Flüffe das prächtigste Leben, während weiter land-
einwärts die Reize schnell schwinden. An der Meeresküste liegt hier Marseille,
seit alter Zeit hochberühmt als Hasen und Handelsstadt. Der ewige Wind
verweht hier oft die Bänme der Küsten mit Sand, schleudert die Schiffe aus
Gestade; der Mistral, der alpine Nordwind, fährt heftig und rauh über die
Fluren; gewaltig brennt die Sonne hernieder und zaubert Laub und Blüten
hervor, um fie fogleich wieder zu versengen; dann brechen gewaltige Gewitter-
stürme los, welche alles verwüsten; es ist eine launenhafte, leidenschaftliche,
reizbare und reizende Natur zugleich, die fich im Charakter des Volkes wider-
spiegelt. Jenseits der Rhone schließt sich Langnedoc an, das man sich
keineswegs in weichem Charakter südlicher Anmut denken darf. Es ist vielmehr
größtenteils ein steiniges Land ohne schiffbare Flüsse, mit dünnschattigen Ol-
bäumen auf den Höhen, „ein Land voll salziger Seeen, unzähliger Thermen
und bituminöser Exhalationen, ein zweites Judäa." Seine düstern Städte haben,
wie Albi, Lodeve, Montpellier, oftmals selbst in der reizendsten Lage eine
ungesunde Umgebung, in einer blumengeschmückten Gegend eine vergiftete Luft.
Der Charakter der Bevölkerung ist einem Gießbache vergleichbar, der rasch
kommt und eben so rasch vergeht; er ist fanatisch und gewaltthätig. In den
wogenden Völkerbeweguugeu sind hier die Völkerreste schichtenweise über einander
geworfen und Ruinen über Ruinen gehäuft worden. Als ein berühmtes Denk-
mal aus der Römerzeit erhebt fich das Amphitheater von Nimes, und die unter
Franz I. erneuten Mauern von Narbonne bestehen größenteils aus Resten
römischer Grabmonumente, Statuen und Denkmäler.
Nach Michelet, C. Zehden und M. Ruith.
4. Landschaften Nordfrankreichs.
Frankreich wird im Nordwesten durch die Normandie und Bretagne
gleichsam gedeckt, von denen jenes ein Land der Eroberung, dieses ein Land
des Widerstandes darstellt. In der Bretagne sind zwei parallele, steil aus dem
Meere steigende Bergzüge zu unterscheiden. Die höchste Erhebung sind die
Montagnes d' Arree, welche die Wasserscheide zwischen dem Kanal und
aqnitanischen Meere bilden, am Busen von Brest beginnen und kaum 320 vi
hoch steigen. Die Montagnes Noires beginnen am Busen von Donarnenez