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Voran schreitet die Leikkuh An dem Halse trägt sie die Glocke, bei
deren Ton die übrigen Kühe in eine freudige Bewegung geraten. Den
Schluß macht der Stier, der den Melkeimer zwischen seinen Hörnern
trägt. Auch ein Teil der Ziegen zieht mit auf die Alp, während der
andre Teil in den Wohnungen zurückgehalten wird, damit sie während
des Sommers den nötigen Milchbedarf liefern.
Von tiefer gelegenen Wiesen steigt der Senne mit der fortschreiten
den Schneeschmelze zu den höheren hinan. Auf jeder Alp ist für ihn
eine Sennhütte aus Holz erbaut, in der er mit der Herde nachts
und bei stürmischem Wetter Unterkunft findet. Von morgens bis abends
grasen die Kühe. Sie lassen sich das würzige und nahrhafte Futter
schmecken, das sie ja während des ganzen langen Winters entbehren
mußten. Wie freut sich der besorgte Senne jetzt über das frische und
gesunde Aussehen seiner Tiere.
Für den Sennen gibt es auf der Alp täglich viele Arbeit; wenn
die Herde groß ist, hat er noch einen Gehilfen nötig. Zweimal oder
dreimal am Tage werden die Kühe gemolken. Aus der Milch wird
entweder Butter oder Käse bereitet. In letzterem Falle muß auch
zweimal täglich gekäset werden. Die Vorrichtung hierzu befindet sich
in einem Raume der Sennhütte.
Von der Welt, von dem Leben und Treiben der Menschen hört
und sieht der Senne wenig. Nur alle 8 oder 14 Tage wird aus dem
Tale ein Bote zu ihm gesandt, der einige Nahrungsmittel, besonders
Brot bringt und die Butter- und Käseerzeugnisse mitnimmt. Aber der
Senne ist gern bei seiner Herde und möchte sich nicht von seinen Kühen
trennen, die er alle mit ihrem Namen ruft, und die auf sein Stimme
herbeikommen und seine Hand lecken.
So verleben Hirt und Herde auf der hohen, luftigen und sonnigen
Alp eine frohe Zeit, bis der Winter seine Anzeichen sendet. Graue
und dunkle Nebelwolken hüllen jetzt die Berge ein, und die Kühe senken
traurig ihre Köpfe. Dann sehnt sich auch der Senne wieder zurück in
das stille Dörfchen im warmen Tale. Freudig rüstet er sich zum Ab⸗
trieb, der am Michaelistag stattfindet. Froh wird er von den im
Dorfe Zurückgebliebenen empfangen. Hinter den Kühen haben sich
nun wieder die warmen Winterställe geschlossen, und die Sennen sitzen
abends beisammen in der Stube auf der Holzbank und erzählen ein—
ander von des Sommers frohen Tagen.