Full text: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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und hatte deshalb ihrer Ware den Rücken zugekehrt. Da kam 
mir der Gedanke, einen einzigen Apfel heimlich zu nehmen; 
ich dachte, die Frau behielte ja noch eine grobe Menge. 
Leise streckte ich meine Hand aus und wollte eben ganz vor— 
sichtig meins Beute in die Tasche stecken, da bekam iceh eine 
derbe Ohrfeige, so dab ich vor Schrecken den Apfel fallen lieb. 
„Junge!“ sagte zugleich der Mann, der mir die Ohrfeige ge— 
geben hatte, „vie heibt das siebente Gebot? Nun, ich hoffe, 
daß du zum erstenmal dagegen sündigst; lab es zugleich das 
letzto Mal sein“. Vor Scham wagte ich kaum die Augen auf— 
zusehlagen; aber doch ist mir das Antlit- jones Mannes un— 
vergeblieb geblieben. In der Schule war ieh immer sebr auf— 
merksam, ich glaubte aber immer von neuem die Worte zu 
hören: „Lab es das letzte Mal sein“. Und iech nahm mir fest 
vor, ja, es soll das letzte Mal sein. Aber auch lange nachher, 
wenn ieh aus dem RKatechismus das siebente Gebot aufsagen 
sollte, dachte ich mit heftigem Herzklopfen an jenen Morgen. 
Als ich nach einigen Jahren die Schule verlieb, ward ich Lehr- 
ling bei einem Kaufmann in Bremen; von dort ging ieh später 
nach Südamerika. Hier kam ich manchmal in Versuchung, in 
Kaufmannsgeschaften andre zu betrügen und so die Hand 
nach fremdem Gut auszustrecken; aber dann war es mir immer, 
als fũhlte ich von neuem die Ohrfeige, und ich erinnerte mich der 
Worte: „Lab es zugleich das letæte Mal sein“. So bin ich ebrlich 
geblieben, und in dem Vermögen, das ich herübergebracht habe, 
ist Lein Plennig unrechten Gutes. Gott sei dafür gelobtl 
So erzahlte der junge Mann; dann aber ergriff er die 
Hand des Herrn Müller und sagte: „Darf ich nun diese Hand, 
die mir eine solehe Wohbltat erwiesen, reoht dankbar drüoken?“ 
27. Deutscher Rat. 
Robert Reinick. 
Märchen⸗, Lieder⸗ und Geschichtenbuch. Bielefeld und CLeipzig 1905. 14. Aufl. 5. 9. 
1. Vor allem eins, mein Kind: Sei treu und wahr, 
laß nie die Lüge deinen Mund entweihn! 
Von alters her im deutschen Volke war 
der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein.
	        
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