— 330 —
Lande der Winde war der Haupteindruck der des Sturmes. Brausend und
knatternd, namentlich zur Nachtzeit furchtbar, fuhr der Wind durch die
Bäume, daß es ächzte, krachte und splitterte, am häufigsten und eindrucks¬
vollsten von der See her durch die Ebene. Hier, in Niederdeutschland,
mochte zuerst der Glaube an ein göttliches Windwesen, an den Wodan, ent¬
standen sein, den dann eine spätere Entwicklung mannigfach ausgestaltet
hat. Wodan, ursprünglich ein lokaler Gott, mag auch, wie die allgemeine
Annahme ist, den älteren Hauptgott Ziu zurückgedrängt haben. Dieser
wurde allerdings bei allen Stämmen verehrt, ist uns aber in seiner über¬
ragenden Rolle nicht mehr bekannt, vielmehr, wie wir sehen werden,
wesentlich Kriegsgott geworden. Wodan scheint aber bei den oberländischen
Germanen sehr schwer' eingedrungen zu sein. Die Träger seines Kultes
waren namentlich die Franken. Er wurde nunmehr, vielleicht schon unter
römischem Einflüsse, zum Himmels- und Sonnengott, zum allweisen Vater
der Welt. Ursprünglich ist er aber, wie gesagt, der Windgott, und zu
solchem Gott dachte man sich wohl auch eine weibliche Gottheit, die in
der Windsbraut der Sage, der gejagten Wolke, vielleicht zu erkennen ist
Indessen scheint auch in der eben als Erdgöttin erwähnten Frija, der Ge¬
mahlin Wodans (die vielleicht ursprünglich die Gemahlin des Ziu war), der
deutschen Hauptgöttin, ein solcher Zug zu stecken. Darf man die späteren
Überlieferungen der Sage von der geisterhaften Frau Holle und Frau Berchte
auf sie zurückführen, so war sie die Herrin der Wolken und sandte Schnee
und Regen auf die Erde. Aber sie jagte auch geisterhaft durch die Lüfte,
namentlich in den zwölf Nächten, und führte den Zug der Seelen. Der
Macht des Sturmes vergleichbar war die des Gewitters, dessen Donner
namentlich im Waldgebirge furchtbar widerhallte. Der Donar ist aus diesem
Eindruck erwachsen. Er (Thunar) ist freilich der eigentliche Gott der Nord-
germanen, er führt den nordischen Hammer und bewahrte auch seinen Kult
nach dem Eindringen des Wodankultes in Skandinavien.
Der Wald ist nun weiter die Hauptheimat der elfischen Geister, der
Zwerge, der Nixen usw. Wer den Nebel im Walde leise steigen und vom
Wind bewegt sah, der sah auch duftige Gestalten umherschweben, zwischen
den Bäumen, in den Sträuchern; wer scheu in tiefe Höhlen durch schmalen
Eingang blickte, glaubte wohl huschende kleine Wesen zu schauen, die ihm
auch sonst über den Weg liefen und allerlei Schabernack spielten; aus dem
Schilf der dunklen Waldgewässer hörte er Laute, und seine Phantasie schuf
sie um zu lockenden Wesen. Aber die eigentliche Grundlage dieser Geister
waren nun doch nicht die durch das Leben und Weben der Natur erweckten
Vorstellungen. In solchen geheimnisvollen Wesen sah man eben jene Seelen
Verstorbener. Man versetzte sie vor allem in die Luft, ließ sie im Wehen