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Ach, wie freute er sich! Eilends kroch er bis zur kleinen Luke, aber
noch war sie zu eng, und er konnte nur die Fühlhörner hinausstrecken
und sich an dem frischen Morgenwinde laben. Mittlerweile stieg jedoch
die Sonne immer höher, und das Fensterchen wurde bald so weit, daß
unser Schmetterling schon hinausschauen konnte
Aber er zog bald das Köpfchen zurück, denn dicht neben seinem
Gefängnisse stand Agnes, des Gärtners kleine Tochter, welche beschäf—
tigt war, einen Blumenstrauß zu pflücken. Sie bückte sich näher zur
Tulpe, betrachtete sie mit freudigem Blicke und bemerkte durch die kleine
Offnung alsbald auch unsern Schmetterling. „Nein“, sagte sie, „das
ist doch niedlich, das muß mein Bruder sehen!“ Mit diesen Worten
war auch die Tulpe geknickt und zu den andern Blumen gesellt. Wie
erschrak unser Schmetterling! „Ach“, seufzte er, „wie wird mir's nun
gehen? Meine Lage wird immer trauriger.“
Agnes eilte mit ihrem Strauße ins Haus zum Bruder und rief:
„Sieh nur her! Hast du schon einen schöneren Vogelbauer und ein nied⸗
licheres Vögelchen erblickt?“ Der Bruder schaute in die Tulpe hinein,
lachte laut und sprach: „Ei, das ist ja allerliebst! Ich werde den kleinen
Schelm erlösen, mit einer Stecknadel durchstechen und aufspannen. Er
soll meine Schmetterlingssammlung vermehren.“ — Ach wie erschrak da
der Gefangene! Sein Herzchen klopfte laut, und er konnte vor großer
Angst nicht einmal mehr hin und her zappeln, sondern saß still auf dem
Boden des Gefängnisses. Agnes aber sprach: „Nein, Brüderchen, das
leide ich nimmermehr, du sollst das arme Tierchen nicht so quälen.
Wer weiß, wie lange es schon gefangen sitzt. Ich will es lieber erlösen
und ihm die Freiheit schenken“ Aber schon hatte der Bruder die Tulpe
aus dem Strauße herausgezogen, und lachend rief er: „Dein Mitleid,
liebe Agnes, soll mich nicht hindern, meinen Willen durchzusetzen, der
Schmetterling wird nun einmal gespießt!“
„Wenn's denn nicht anders sein soll, so laß mich den Verurteilten
wenigstens noch einmal in seinem kleinen Gefängnisse sehen“, sagte
Agnes, „dann mache, was du willst.“ — „Das kann geschehen“, sprach
der Bruder, und er reichte die Blume hin.
Agnes aber sprang rasch damit ans offene Fenster, erlöste schnell
den halbtoten Gefangenen und sagte voll Freude: „Anders konnte ich
dich nicht retten, du armes Tier!“ Sodann wandte sie sich zum über—
raschten Bruder und sprach lächelnd: „Siehst du, nun ist der kleine