Full text: Lesebuch für die 4. Klasse der Volksschulen in München (Klasse 4, [Schülerband])

114. Das kostbare Kräutlein. — 115. Das Mittagessen im Hof. 107 
lächelnd der Löwe; doch schenkte er großmütig dem Tierchen Leben und 
Freiheit. 
Bald sollte er indes erfahren, daß auch die Gunst einer Maus 
nicht zu verachten sei. Er verwickelte sich im Laufen in die Stricke 
eines Jägernetzes, welches an einen Baumstamm festgebunden war, und 
da er sich ungeachtet aller Anstrengungen nicht losmachen konnte, stieß 
er ein fürchterliches Gebrüll aus. Was hätte es ihm aber geholfen, 
wenn nicht das Mäuslein zum Glück es gehört hätte? Schnell eilte es 
seinem bedrängten Wohlthäter zu Hilfe und durchnagte die Knoten des 
Netzes, so daß der Löwe sich nun leicht herausreißen konnte. Das 
Maͤuschen sprach: „Du hast meiner gespottet; nun siehst du, daß auch 
ein Maͤuslein dankbar sein und eine edle That vergelten kann.“ 
114. Das kostbare Kräutlein. 
Chr. v. Schmid. 
Zwei Mägde, Brigitte und Walburg, gingen der Stadt zu, und 
jede trug einen schweren Korb voll Obst auf dem Kopfe. Brigitte 
murrte und seufzte beständig; Walburg aber lachte und scherzte. 
Brigitte sagte: „Wie magst du doch lachen? Dein Korb ist ja so 
schwer wie der meinige, und du bist um nichts stärker als ich.“ — 
Walburg sprach: „Ich habe ein gewisses Kräutlein zur Bürde gelegt, 
und so fühle ich sie kaum.“ — „Eil!“ rief Brigitte, „das muß ein kost— 
hares Kräutlein sein. Ich möchte mir meine Last auch gerne erleichtern. 
Sag mir doch, wie es heißt?“ — Walburg antwortete: „Das kostbare 
Kraäutlein, das alle Beschwerden leichter macht, heißt — Geduld. Merk 
dir, Brigitte: 
Leichter trägt, was er auch trägt, 
wer Geduld zur Bürde legt.“ 
115. Das Wittagessen im Hof. 
J. P. Hebel. 
Ein Bedienter konnte seinem Herrn manchmal gar nichts recht machen 
und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So 
kam einmal der Herr sehr verdrießlich nachhause und setzte sich zum Mittag— 
essen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt oder keines von beiden; aber 
genug, der Herr war verdrießlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, 
pas darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. 
Was that der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben 
auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts der Suppe nach in den 
Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit 
lem. was noch darauf war, auch in den Hof hinab. „Verwegener, was
	        
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