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gebildet; jetzt dienen sie den losen Lüften zum Spiele. Diese treiben sie
zuweilen auf Felsenspitzen und Mauern, und treffen sie dort in einer
Ritze nur etwas Erde, so beginnen sie zu keimen und zu wachsen. Auf
diese Weise ist auch das Bäumchen entstanden, das uns vom Turme
herab grüßt. Wer bescheiden ist, findet überall sein Fortkommen.
Im dunklen Moore ist sie der einzige Baum, der noch zu einer
ansehnlichen Größe emportreibt; schwermütig steht sie dort und träumt
von vergangenen, goldenen Zeiten. Besonderes Ansehen genießt sie bei
den Völkern des Nordens, denen sie hohe Dienste erweist. Ihre Rinde
muß das Dach decken, und aus dem Stamme zapft der Nordländer den
schäumenden Saft. Ja, wenn der Himmel karg war und das Korn nicht
gedieh, mahlt er die Rinde zu Brotmehl. Aber auch in unseren Ge—
genden unterstützt die Birke den Menschen in seinem Thun und Treiben.
Wagner und Drechsler schätzen das zähe, helle Holz, und aus der
Birkendose schmeckt die Prise besonders frisch. Am Nikolaustage trägt ihr
Reisig gar einen rotwangigen Apfel! Freilich hat dieser saftige Bursche
kein so langes Leben als die Rute, der Schrecken unartiger Kinder. Auch
der Besen dort in der Ecke stammt von diesem Baume. Seine Reiser
wiegten sich einst in stolzer Höhe; jetzt sind sie zu Staub und Niedrigkeit
verurteilt. So ändert sich oftmals die Herrlichkeit der Welt.
120. Im Moore.
Hans Heindl.
1. Zu den einsamsten Gegenden gehört das Moor; es ist gefürchtet,
gemieden. Nur der Landmann befährt im Winter die schmale Straße, welche
die Kunst des Wegebauers in den schwankenden Boden gelegt hat. Er holt
Streu, das einzige nutzbare Erzeugnis des Moores, wenn nicht etwa am
Rande Torf gegraben wird. Weithin zieht sich eine düstere, tischgleiche
Fläche; kein Hügel unterbricht sie — Nirgend erfreut üppicher Baumwuchs
das Auge; nur dunkles Krummholz kriecht manchmal am Boden hin, und
auf inselförmigen Erhebungen haben sich etliche Birken angesiedelt; zahllos
ist das Heer der Weiden. Auf dem wasserreichen Grunde blühen mancherlei
Blumen; aber es fehlt die prangende Pracht der Wiesen. Es fehlt das
heitere Lied der Vögelein; es fehlt das Gemurmel der flinken Quelle; es sehlt
fast alles, was eine Gegend sonst anziehend macht.
Doch auch Moorflächen haben ihren Reiz. Mannigfaltig und wunder—
bar ist dort das Leben. Der Jäger insbesondere weiß das Moor zu schätzen.
Heiße Sommertage locken das Reh in den kühlenden Grund, und der allzeit
hungrige Fuchs streicht durch das nasse Gebüsch. Die Grenze des Moores
bildet ein Bach; in seinen trägen Fluten rudern die Wildenten lustig auf
und ab und schnattern sich ihren Abendgruß zu. Unter einem Schirme aus
Tannenreisig lauert wohlverborgen der Jäger. Es blitzt und kracht, und