237. Die Zugvögel. 57
Nun seid ihr ermüdet, wollt schlafen auch geh'n;
O, möget im Lenze ihr wonnig ersteh'n!
Wir Vöglein, wir können so lange nicht warten.
Gott schirme indessen den schlummernden Garten! Ade! Ade!“
3 Zum Fenster noch einmal blickt 's Schwälbchen hinein:
„Ade, liebe Kinder, geschieden muß sein!
Ich hatte mein Nest an dem Fenster gebaut;
Ihr habet mit Freuden die Kleinen geschaut
Und gern auf mein Zwitschern des Morgens gehört
Und habet mir niemals den Frieden gestört;
Drum möge auch euch in Freud' und Gefahren
Der Himmel die liebenden Eltern bewahren! Ade! Ade!“
R. Löwenstein.
237. Die Zugpvögel.
Fast alle die lieben Sänger, die uns im Frühlinge und Sommer
den Garten beleben, ziehen fort von uns, wenn der Herbst herannaht, wenn
die Blätter an den Bäumen rot und gelb werden und dann ein Blatt
nach dem andern herniederfällt auf die Erde. Manche gehen allein,
manche paarweise, manche in großen Schwärmen.
Sie können den kalten Winter nicht ertragen, ihr Federkleidchen ist zu
sommerlich und leicht; sie würden ja erfrieren und wo wollten sie auch
unter Eis und Schnee die Beeren und Raupen und Würmer und Körner
finden, von denen sie leben? Wenn der Morgen kommt, so müssen sie doch
essen und mittags auch und Abendbrot möchten sie auch gern haben, auch
wohl noch ein viertes kleines Mahl dazwischen, wo sollten sie das hernehmen?
Ziehen die Wolken vor den rauhen Winden dahin, als flögen sie,
so wandern auch die meisten Vögelchen fort, fort nach Süden in wärmere
Länder, wo der liebe Gott ihnen schon wieder das Tischlein gedeckt hat;
sie fliegen über Berg und Tal, über Bäche, Ströme, selbst übers Meer
dahin, tausend Stunden weit und mehr.
Niemand zeigt ihnen den Weg, sie wissen ihn schon selbst zu finden;
aber ehe sie ihre Reise antreten, hoch in der Luft oder niedriger über
die Stoppelfelder dahin, sind sie nicht fröhlich, sie flattern umher, sammeln
sich, die Alten und die Jungen, alle schweben dann noch einmal rings
um die Gärten und Häuser — und husch! geht es fort.
Schwalben und Hänflinge, Nachtigallen und Grasmücken, Stieglitze
und Rotkehlchen, Bachstelzen und Wachteln, Buchfinken und Waldtauben,
alle machen die weite Fahrt in ferne Länder. Unterwegs begegnet wohl
manchem ein Unglück, aber die meisten erreichen glücklich das Ziel.
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