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oder Pillelein er ihr verordnet habe, erstaunte er auch nicht wenig und
sagte zu ihr: „Frau, Ihr seid einem guten Arzt in die Hände gefallen,
denn er hat Euch fünf und zwanzig Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu
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erheben, und unten dran steht: Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches
Magenpflaster und Herzsalbe und Augentrost hätt ich Euch nicht verschreiben
können.“ Da that die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts
sagen vor Dankbarkeit und Rührung, ünd das Geld wurde hernach richtig
und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doctor verordnete
ihr eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die
sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden
Beinen. Also hat der Doctor die kranke Frau kuriert, und der Kaiser die
arme, und sie hat sich nachgehends wieder verheiratet.
232. Der Binger Mäusethurm.
(Sage. — Brüder Grimm.
Bei Bingen ragt mitten aus dem Rhein ein hoher Thurm, von dem
nachstehende Sage umgeht. Im Jahre 970 ward große Theuerung in Deutsch⸗
land, daß die Menschen aus Noth Katzen und Hunde aßen und doch viele
Leute Hungers starben. Da war ein Bischof zu Mainz, der hieß Hatto der
Andere, ein Geizhals, dachte nur daran, seinen Schatz zu mehren, und sah
zu, wie die armen Leute auf der Gasse niederfielen und bei Haufen zu den
Brotbänken liefen und das Brot mit Gewalt nahmen. Aber kein Erbarmen
kam in den Bischof, sondern er sprach: ‚Lasset alle Arme und Dürftige sam—
neln in einer Scheune vor der Stadi, ich will sie speisen.“ Und wie sie in